Drift
Kugel in den Kopf! Aber als man das Geld in die Hand gedrückt bekommt, denkt man nicht an eine Kugel in den Kopf und den Angstschweiß, sondern daran, dass man statt dem Bus lieber ein Auto nehmen sollte und ein hübsches Mädel für eine Woche mit ans Meer – das perfekte Alibi.
Die Mengen werden größer, die Autos und die Mädchen teurer und irgendwann hat man einen Job, der es einem kaum erlaubt, Fahrten mit der Regelmäßigkeit zu machen, die man selbst und der Mann mit dem BMW gerne hätte.
Man überlegt oft, ihm zu sagen, es sei genug, aber das Geld macht zu viel Spaß und außerdem hat man Schiss davor, wie er reagieren wird, jetzt, wo man sich als geschickter Glückspilz herausgestellt und damit zum Goldesel gemacht hat. Werden in Mafiafilmen Aussteiger nicht mehr oder weniger gleich wie Verräter behandelt und grundsätzlich erschossen?
Die Antwort auf all diese und noch mehr Fragen kommt in Form einer großgewachsenen, grazilen, schlanken Dunkelrothaarigen, die einem mit ihrem Geist, ihrem Herz und ihrer Intelligenz den Atem raubt; man verliebt sich Hals über Kopf und zieht schon nach einem halben Jahr mit ihr zusammen. »Du willst also aussteigen.« »Ja«, bringt man irgendwie über die Lippen. Man hat den Revolver in der Jackentasche und schwitzt wie ein Schwein, aber zum Glück ist Sommer und der Mann im BMW schwitzt ebenfalls. Obwohl er keine Zeichen von Aggression oder Wut zeigt, lässt man seine Hände keine Sekunde lang aus den Augen. »Warum?«, will er wissen und man sagt ihm die Wahrheit. Sagt ihm, dass man sich verliebt hat und fortan ein normales Leben führen wolle. »Du weißt, was geschieht, solltest du auch nur einen Ton hierüber verlieren, egal wem gegenüber? Und du weißt, wir hören alles.« – »Absolut«, |293| sagt man energisch, das Ende des Tunnels vor Augen. »Eine Bedingung«, sagt er. Nicht gut, denkt man. »Welche?« – »Die Fahrt nächste Woche machst du noch. Dann kannst du gehen.«
Man beißt sich auf die Lippen, man hatte sich fest vorgenommen, ihm im soeben eingetretenen Fall unter allen Umständen zu sagen, das könne er vergessen, aber man schafft es nicht. Man glaubt ihm, glaubt, dass er einen vom Haken lassen will, wenn man noch diese eine Lieferung über die Bühne bringt, und man will es nicht riskieren, dass er, oder wer auch immer noch hinter beziehungsweise über ihm steht, es sich anders überlegen könnte. »Okay«, sagt man, »noch diese eine Lieferung.«
Der Mann drückt einem den üblichen Zettel in die Hand und man steigt aus dem BMW in seinen Saab und fährt mit pochendem Herzen nach Hause. »Love«, sagt man, als man zur Tür reinkommt, »I’m home!« Man hört, wie sie barfuß aus dem Wohnzimmer durchs Esszimmer in den Gang gerannt kommt, dann schätzt sie den Abstand ab, macht ein paar große Schritte und springt einen an, wirft einem die langen Beine um die Hüfte und verschränkt sie, schlingt einem die Arme um den Hals und sagt: »Hi love!« Man drückt sie fest an sich und sie küsst einen auf den Mund, auf die Wangen, den Hals und die Stirn. »Hi, darling«, sagt man und küsst sie zurück, mit aller Liebe, die man je empfinden werden wird.
|294| DAS SCHÖNE LEBEN
Man war noch nie so glücklich im Leben. Alles stimmte, alles war perfekt, die Frau, die Liebe, der Job, sogar das Wetter. Nur eines musste man noch erledigen: Das eine, leidige, letzte Mal eine Lieferung in die Schweiz schmuggeln. Natürlich wollte sie genau wissen, wohin es ging und worin der Job bestand, und das nicht aus mangelndem Vertrauen oder Kontrollsucht, sondern aus reiner Neugierde und gesundem Interesse für das Leben des Partners.
Seit Tagen hatte man sich darauf vorbereitet, um auf alle eventuellen Fragen ihrerseits eine solide Antwort parat zu haben. Die Story ging so: Es gab da einen Kunden, der von Genf aus ein Perlenimperium steuerte. Weil der Kunde nun aber eigentlich am liebsten eine französischsprachige Agentur hätte, auf Diktat des Verwaltungsrates hin allerdings der politischen Korrektheit halber auch zwei deutschsprachige Agenturen einladen musste, hätten die Manager die Präsentation möglichst früh morgens angesetzt, um die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit mit einer Agentur aus der Deutschschweiz zu demonstrieren. Aber man ist zusammen mit den Agenturchefs zur Übereinstimmung gekommen, dass dieses »Problem« aus der Welt geschafft werden konnte, indem man einfach schon einen Tag früher nach Genf reiste, mit dem guten Grund, dass man
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