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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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zufrieden war: »Na, dann los«, sagte man zum Mann im Spiegel und rannte die Treppen hoch, um den Puls in Fahrt zu bringen; vor dem Grenzübergang in die Schweiz raste der Puls dann von alleine und stärker als bei jeder Lieferung zuvor. Ob es so war, weil es die letzte Fahrt war? Man war sich nicht |297| ganz sicher. Eine Stimme sagte, dass es eher daher rührte, dass man plötzlich etwas zu verlieren hatte: die große Liebe.
    Bislang war es immer nur das eigene Leben gewesen, um das man sich jedoch nie sonderlich gekümmert hatte – jetzt war allerdings noch jemand anders betroffen, jemand, für den man sein Leben ohne Wenn und Aber hergegeben hätte; sie zu verlieren kam nicht in Frage.
    Man durfte also nicht nur nicht erwischt werden, weil man für unabsehbare Zeit in den Knast wandern und seine Zukunft verspielen würde, man durfte nicht erwischt werden, weil man ihr das Herz brechen würde, was man selbst nicht überleben konnte; die Selbstvorwürfe würden einen umbringen.
    Man rollte auf den Zöllner zu und musterte ihn, versuchte ihn einzuschätzen. Was würde er wissen wollen, wonach würde er fragen? Unruhe, die man mit betont ruhigem und langsamem Atmen unter Kontrolle zu bringen versuchte. Wagenpapiere, Pass, alles in Ordnung, was zu verzollen? »Nein«, sagt man und sieht ihm ruhig in die Augen. Er ist jung, jung genug, hofft man, um nicht wahrzunehmen, dass einem das Herz bis zum Hals schlägt und man gleich beginnen wird zu hyperventilieren, sollte er einen nicht umgehend ziehen lassen. Er beugt sich nochmals zu einem hinunter, um noch eine Frage zu stellen, und man hat das Gefühl, gleich platze einem das Herz in der Brust, und er will wissen, wohin man jetzt fahre. Man atmet lautlos aus, lässt die Luft langsam in die Lunge zurückströmen, lächelt ihn breit an und sagt ruhig: »Alla casa, alla casa. Dove mi aspetta la più bella donna del mondo.«
    Er lächelt, richtet sich auf, klopft aufs Autodach und sagt laut: »Vai, vai, vai …!« Und man hebt die Hand zum Gruß und fährt los, frei, unertappt, nicht verhaftet und eingelocht für ewig, man hat ein Leben, Geld, Zukunft, ein Zuhause, das auf einen wartet – und die schönste Frau der Welt.
     
    |298| Anstatt den Dealer kommen zu lassen, geht man bei sich zu Hause vorbei, schmeißt den Koffer hin, steckt den Revolver ein und fährt zum Dealer, denn man will den letzten Deal sofort, nicht erst in ein paar Stunden über die Bühne bringen. Erstens, weil’s der letzte Deal ist, zweitens, weil man es kaum erwarten kann, die Geliebte nach einer Trennung von fast zwei Tagen wieder in die Arme zu schließen. Und drittens, weil dieser letzte Deal den Abschluss eines alten und den Beginn eines neuen Lebens bedeutet.
     
    Vor dem Haus begegnet man ein paar Kleinganoven, die wissen, zu wem man geht und wer man ist, und sie grüßen einen brav. Man geht zu ihnen hin und gibt ihnen bronxmäßig je einen Zwanziger, damit sie auf den Wagen aufpassen (obwohl man sich einen teuren Sportwagen leisten könnte, fährt man einen coolen alten Saab: low profile – das A und O beim Schmuggeln), denn die Gegend ist abgefuckt und man hat überhaupt keine Lust auf Kratzer oder eine Delle.
    Man fragt die Jungs, ob Aleksander da ist, und sie sagen ja. Als man schon fast drin ist, kommt einer hinterher und druckst rum, bis man ihm noch einen Zwanziger in die Hand drückt. Er wolle nicht den Teufel an die Wand malen, aber es seien ein paar komische Typen oben bei Aleks, Typen, die nicht hierher gehörten. Man schaut den zweiten Typen an und der nickt. Der erste fährt fort. »Wir glauben, es sind Bullen. Aber wir haben nichts gesagt, was Aleks angeht, okay?« Man nickt, man weiß, worauf er hinauswill; sie glauben, Aleks könnte ein Informant sein. Man sieht hoch, sagt den Jungs, man werde oben, vor Aleksanders Wohnung, das Fenster im Treppenhaus öffnen. Falls etwas schiefgehen sollte, sollten sie die Tasche, die man runterwerfen würde, im Bahnhof in ein Schließfach bringen, den Schlüssel verstecken und später je zweitausend abkassieren.
    Im Normalfall hätte man auf der Stelle kehrtgemacht, schon bei der geringsten Möglichkeit, dass an all dem, was die Jungs erzählten, etwas dran sein könnte. Aber man ist zu verliebt und zu gut drauf |299| und richtiggehend euphorisiert, weil man es kaum erwarten kann, den Deal über die Bühne zu bringen und sie wiederzusehen. Man geht also rauf – die Tür unten ist offen, es ist ein normales Wohnhaus im Kreis 5, kein Grund,

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