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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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erinnert man sich, irgendwo nach Senj, da ragt der Berg steil auf und fällt wieder ab bis ans Meer, dort wird man den Wagen abstellen und den Fels erklimmen, irgendwie wird man von dieser Straße wegkommen, und in Gedanken an einem Felsvorsprung hängend, mit den Stiefelspitzen verzweifelt nach Halt suchend, biegt man um eine Kurve und da ist kein Tunnel, sondern eine Abzweigung, links in die Berge rein, und die nimmt man in lockerem Drift, Vierradantrieb, was für eine tolle Erfindung; mit schleuderndem Hintern fliegt man über den Kies, über größere und kleinere Steine, der Wagen ächzt, der Motor jault, die Steine hageln gegen das Chassis, schmal, immer schmaler wird der Weg und die Felsen rücken näher, mein Gott, denkt man, hier könnten Minen vergraben sein – aber an den Gedanken an Minen, Granaten und Kugeln wird man sich jetzt wohl oder übel gewöhnen müssen, am besten sofort, redet man sich ein, denn rechts rostet ein ausgebranntes Autowrack, Haarsträuben, angespannteste Vorsicht, ein Gefühl wie: Da kommt was, Menschen, Gefahr, Halt, Vollbremsung, Schleudern, Heidenkrach, schlingernder Stopp.
     
    |77| Neben das Wrack stellen will man ihn nicht, den kleinen Wagen, in dem man sein Leben mehr als ein Mal riskiert und doch überlebt hat, den Eltern gehört er, Schuldgefühle, er wird gestohlen werden, ganz bestimmt, wobei: Die Polizei wird ihn haben wollen, aber – zahlt die Versicherung eigentlich, wenn es der eigene Sohn ist, der die Karre geklaut hat? Halt. Gedankenbremsen. Beruhigen. Man öffnet die Tür, steigt aus, geht ein paar Schritte, nur bis zum nächsten Felsen, der auf Brusthöhe in den Weg ragt, Anschleichen, Hinkauern, Luftholen, langsam aufstehen, und da stehen ein paar Fässer, zerfressen, verbrannt, sie waren mal gelb und einige rot und da ist niemand, nur Fässer auf einem Platz von etwa sieben auf sieben Metern, schätzt man, weiter geht’s nicht, auch nicht mit Vierradantrieb; etwas wie ein Pfad führt weiter, kein gutes Gefühl, den zu nehmen, auch wenn er einen schneller in die Berge bringt als Klettern durch wildes Terrain, aber – das gilt eben auch für die Verfolger.
     
    Zurück im Auto die eine Hand am Lenkrad, die andere am Zündschlüssel, die Frage, ob man weiterfahren soll, und man beschleunigt zu den Fässern, umrundet sie schleudernd, schaut auf die Uhr, viertel vor neun.
    Neun hat man sich gesagt und neun soll es sein, keine Minute länger, um neun muss man von der Straße runter, raus aus dem Auto, nervös, sehr nervös, Angst vor der Küstenstraße, vor Leuten, die auf einen schießen könnten. Was soll’s, hol’s der Teufel: Man gibt Gas, die Räder drehen an Ort und Stelle, Steine fliegen, Lärm, den hier draußen niemand hört, dann greifen die Profile und schnell wie der Blitz ist man wieder unten, am Meer, biegt links ab und rast weiter, Kurve um Kurve quietschen die Pneus, der Wagen bricht aus, Gegensteuern, niemand, kein Mensch weit und breit, nichts kommt einem entgegen, weder auf zwei noch auf vier Rädern, fünf vor neun, sagt die digitale Uhr am Armaturenbrett – wie weit kommt man in fünf Minuten, wenn man hundert fährt? – acht und ein paar zerquetschte Kilometer, so der ungefähre Überschlag, |78| das ist weit, weit genug, um einen der Tunnels zu erreichen oder eine der Straßeneinbuchtungen, einen dieser Panoramagenieß- und Pinkelplätze neben dem Asphalt, die Uhr gibt das Tempo vor, das sich steigert, bis man eine Leitplanke touchiert, leicht nur und mit der hinteren Stoßstange aus Plastik, was aber Zeichen genug ist, um zu drosseln, ein wenig nur, und so schnell wie die Kolben im Motor hämmert das Herz von hinten gegen die Augenballen und da ist Grün, weiter vorn, jetzt sieht man’s und jetzt nicht, Kurve links, Kurve rechts, nicht mehr weit ist es, da gehört er hin, der Kleine, Weiße, Treue, ein Kiesplatz ist es, Bäume, Bremsen, Schleudern, kurzes Bangen (bleib stehen, verdammt!) und der Baum wird geküsst, ganz sanft, vom Auto mit der Plastiklippe, und man stellt ihn ab, den guten Motor und tätschelt dankbar das Lenkrad.
     
    Der Zettel liegt auf dem Boden vor dem Beifahrersitz, die Nachricht an den Finder mit der Nummer der Besitzer, und man hebt ihn auf und legt ihn liebevoll auf den Sitz, steigt aus, lieber Wagen, guter Wagen, der Schlussstrich nun definitiv: Knopf runter, Türgriff hoch und die Tür trotz kaputtem hinteren Fenster abgeschlossen zugeschlagen, Schlüssel unterm Vordersitz.
    Ein Blick übers Dach aufs Meer,

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