Drift
segeln wolle.
Er stand auf, öffnete eine Flasche Wein und goss sich ein Glas ein, nahm einen Schluck und holte aus dem Kühlschrank und den Kästen die Zutaten, die er für seinen speziellen Fried Rice brauchte.
Das Mise en place war für Martin immer ein spezielles Vergnügen. Er kochte nicht wie Helena, so dass die Küche danach aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Nein, Martin mochte es sauber und geordnet. Das sei, weil er ein Chaos im Kopf habe, behauptete Helena und mochte damit durchaus recht haben, aber das tat seinem Vergnügen bei der Vorbereitung nicht den geringsten Abbruch: Wie bei kaum einer anderen Beschäftigung konnte Martin abschalten, während er Zwiebeln schnitt, Knoblauch auspresste, Paprikas zunächst in Streifen und dann in kleine Würfel teilte, alles schön vom Brett auf kleine Teller schüttete und in der Reihenfolge auf die Ablage neben dem Herd stellte, in der er sie in die Pfanne geben würde. Und wenn alles vorbereitet war, wurde abgewaschen oder in die Spülmaschine gegeben, was er nicht mehr brauchte. Dann setzte er Wasser auf, nahm Olivenöl, schaute, dass er es nicht zu sehr erhitzte, und begann mit der Zubereitung. Und während alles schön vor sich hinköchelte und -brutzelte, konnte er denken, woran er wollte – das störte seine Aufmerksamkeit gegenüber dem Gericht, das er da für sie beide zauberte, nicht im Geringsten.
|84| Martin wollte gerade das Messer zur Hand nehmen und loslegen, als sein Telefon klingelte. Es war Helena. Er nahm ab.
»Hi, love!«, sagte er fröhlich.
Sie sprachen oft Englisch miteinander, schon von Anfang an, eigentlich. Wenn sie sich fragten, weshalb dem so war, dann mussten sie sich eingestehen, dass Liebkosungen und Schätzeleien auf Schweizerdeutsch einfach unglaublich dumm klangen. Und coole Floskeln, die man im Spaß und für kleine Bosheiten benutzen konnte, gab’s in Deutschen auch weniger als im Englischen.
»Hi«, antwortete Helena.
»Was gibt’s?«
Martin hätte erwartet, dass sie ihm sagen würde, sie käme ein paar Minuten zu spät oder so, nichts weiter Beunruhigendes. Aber er kannte Helena zu gut und konnte schon ihrem kurzen »Hi« entnehmen, dass mehr hinter dem Anruf steckte.
»Ich kann heute nicht zum Essen kommen, tut mir leid.«
Martin schwieg und schaute sich die Zutaten für Helenas Lieblingsessen an, die auf der Küchenablage auf Zubereitung warteten.
»Okay«, sagte er und überlegte, ob er nachfragen sollte.
Ebenso sehr, wie er wissen wollte, weshalb sie nicht kommen würde, hatte er Angst, eine Antwort zu bekommen, die ihm nicht gefiel und ihn für den Rest des ohnehin ruinierten Abends in eine Paranoia stürzen würde. Also entschied er sich dagegen und schwieg.
»Willst du nicht wissen, weshalb ich nicht kommen kann?«
»Nein«, antwortete er so freundlich und verständnisvoll, wie er nur konnte. »Nein, ist schon gut.«
»Okay«, sagte Helena.
»Okay«, sagte Martin und mit einem »Bis später!« verabschiedeten sie sich.
Martin stand einen Moment lang mit hängenden Armen mitten in der Küche und wusste nicht, wo ihm der Kopf stand, geschweige denn das Herz. Er legte das Telefon vorsichtig aufs Sofa, nahm ebenso ruhig und vorsichtig das Weinglas und stürzte den Inhalt |85| mit einem Zug in sich hinein. Er füllte das Glas nach, leerte es, verzichtete dann aber ganz aufs Glas und leerte die Flasche mit ein paar Zügen. Er öffnete noch eine zweite und holte das Diktiergerät samt Kopfhörern aus seiner Tasche. Er steckte die Stöpsel in die Ohren und das Diktiergerät in seine Hosentasche.
Als er mit dem Schneiden der Zwiebeln begann, hörte er das Echo von Helenas Stimme und das Donnern von Panzergranaten, und als Julien zu erzählen begann, traten Martin Tränen in die Augen.
Aber das kam von den Zwiebeln.
|86| RUINE
Irgendwann rappelt man sich auf, geht weiter, unter dem regelmäßig erleuchteten Himmel, weiter auf den Kriegslärm zu, wo geschossen, gekämpft, gestorben wird, der Kopf klart auf mit jeder Kugel, die trifft oder ihr Ziel verfehlt; Menschen sterben, weiß es tief in einem drin, und man will dorthin, wo das geschieht, will helfen, tun, was auch immer nötig oder möglich ist – ein wenig Sinn in all dieser Sinnlosigkeit.
Ob man dabei selbst erschossen wird, von einer Granate zerfetzt oder von einem Panzer zermalmt wird, spielt keine Rolle: Entweder es erwischt einen oder es erwischt einen nicht, so einfach.
Warum sollte es einem selbst anders gehen als all den jungen
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