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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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ein Blick zum Berg, und einer nach links und rechts und links, wie’s die Polizisten einem gezeigt haben, als es in den Kindergarten ging, dann nichts wie über die Straße und mit wilden Sprüngen über Stock und Stein, ein Ziegen-, ein Widderbock, rauf auf den Berg.
    Ein paar Zigaretten hat man noch, also setzt man sich nach gut einer Stunde ununterbrochenen Kraxelns, Abrutschens, Fluchens, Knieaufschlagens und Umgnadeflehens mit zitternden Händen und zuckenden Beinen, Feuerzeugrausklauben, Zigaretteanzünden, schwieriges Unterfangen, dann ein Zug, ach, wie wunderbar, ach, wie leicht die Seele, sieh, was ist das Meer schön – Meer? Inseln? Küstenstraße! Verfolger! Wo ist die gummigetränkte, rutschige, Magistrale genannte Asphaltschlangenlinie, auf der sie kommen |79| werden? Man steht auf, hält die Hand über die Augen, und da ist sie, die Straße, weit rechts ein Stück und noch ein ganzes Stück weiter links, zwischen weißen Felsen ein paar Meter mit der gelben Linie in der Mitte, Überholen verboten. Man richtet den Blick abwechselnd nach links und rechts, fixiert die Straßenabschnitte und raucht und kommt langsam wieder zu Atem (mit der Zigarette im Mund … Verblödung, für die man mit Geld und Lebensjahren teuer bezahlt, verfluchter Idiot, verfluchter Idiot, verfluchter Idiot, und nicht mal Schnaps zu trinken!), doch da ist nichts, niemand, wo die Polizisten nur bleiben? Die müssten doch schon längst wieder zurück in Senj sein und einem mit Verstärkung auf den Hacken.
     
    Lassen sie einen laufen? Nein. Kann nicht sein. Die persönliche Verflechtung ist durch die zugefügte Erniedrigung viel zu groß, ein Spezialkommando wird organisiert werden, um den Dieb, Schläger und potentiellen Verräter zu töten, den Spion; nach der letzten Aktion wird wohl kaum jemand daran zweifeln, dass der Polizist, der einen während der letzten Nacht vor den guten Soldaten als Vaterlandsfeind bezichtigt hat, recht hatte, jetzt, da man sich der Staatsmacht widersetzt und vier Pistolen und gegen hundert Schuss in Jacke und Hosen stecken hat, ganz zu schweigen vom Funkgerät, mit dem man ihre Frequenz …, Funkgerät – Funkgerät?!
    Man hat nie eines bedient, geschweige denn besessen, man schaut es sich an, wie ein Dreijähriger eine Bang & Olufsen-Anlage, und wie ein Dreijähriger beginnt man, auf gut Glück auf Knöpfe zu drücken und an Reglern herumzudrehen; on und off ist schnell kapiert, aber wie funktioniert der Rest? »Threshold«, steht da undeutlich, von Hunderten Fingern abgenutzt, rauf und runter gedreht und plötzlich rauscht’s, Digitalanzeige sagt 10 – auf welcher Frequenz wohl die Poli… – …zei?
    Nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Das kann, das muss geortet werden können! Off! Ausgeschaltet, fallen gelassen wie ein Stück rot glühende Kohle und dann der Absatz des Stiefels und zur Sicherheit |80| niedergekniet und ein Stein, bis Teilchen schwarzen und grünen Plastiks, farbiger Drähte und die halbierte Gummiantenne auf einen halben Quadratmeter verteilt sind: »Aufstehen, kehrtum und weiterklettern!«, sagt’s, schreit’s, also macht man das, und irgendwann unterwegs schaltet das Gehirn aus, Zellen und Synapsen auf Quadratmeilen verteilt, vegetatives Klettern und Laufen, unangestrengt konstant, Sichtfeld dreißig Grad Maximum, es vergehen Stunden, kein Durst, kein Schmerz, keine Ermüdung, Trance.
     
    Die Steine haben die Farbe gewechselt, weiß wird zu weißorange, weißrot zu weißgraudunkelrot, warum, fragt man sich, es ist derselbe Berg, Hirnwindungen und Synapsen reaktivieren sich und sagen einem, dass die Sonne langsam untergeht, man könnte anhalten, sich umdrehen, Oberkörper nach vorn, die Hände oberhalb der Knie auf den Oberschenkeln abstützen und den Kopf heben, und da ist es, das Meer, die Sonne, sie versinkt in ihrem eigenen flüssigen Gold, eine Viertelstunde noch, dann wird’s dunkel. Auch nicht gut.
    Man sieht sich um, Steine, Felsen, spitz und scharf, nicht ein halber Meter ebener Boden, auf dem man sich zusammenkauern und die Nacht überdauern könnte, dein Mund, meldet sich die Zunge, dein Magen, schreien die Eingeweide, dein Knie, du Arsch, findet der linke Meniskus, und der Kopf sagt überraschend ruhig: Setzen, Entspannen, Überlegen, und die Muskeln lassen nach, noch bevor man eingewilligt hat, und Hintern und Steiß sind die Leidtragenden, die die spitzen Steine abbekommen, doch darum kümmert sich der Rest des Körpers nicht – klarer

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