Drift
sinken, seufzt. »Keine Widerrede, Josko. Wenn du keine Weste tragen willst, bleibst du hier.«
Alle bis auf Marko, der oben bleibt, um aufzuräumen, machen sich in der unteren Wohnung bereit: Weste anziehen, Gürtelumfang vergrößern, Munition laden, Waffen checken. »Weißt du, wie die Dinger funktionieren?«, fragt Darko und meint das Funkgerät, das er einem hinhält. Man schüttelt den Kopf und er erklärt es einem. »Marko wird uns sagen, welche Kanäle wir benutzen sollen. Das Problem ist, dass sie auf allen Kanälen mithören. Das heißt, wir werden uns in Codes verständigen müssen. Aber das erklärt dir Marko. Alles klar?« Man nickt und steckt das Funkgerät ein. »Hier«, ruft Josko durch den Raum und wirft einem, eins nach dem anderen, zwei volle Magazine mit Neunmillimetermunition für die Pistole zu. Man steckt sie in den Munitionsgürtel, zu der wesentlich größeren und schwereren 308er Munition für das Gewehr. Marina kommt auf einen zu und drückt einem eine Dose in die Hand. »Was ist das?«, fragt man und sie antwortet: »Damit kannst du dich schön machen, Indianer spielen.« Man öffnet die Dose und sieht schwarze Creme und man begreift: Man wird sich das Gesicht einschmieren müssen, wie im Film. Wie in der Realität, widerspricht man sich im Stillen, wie im Krieg, Idiot.
|193| Marko kommt runter und verschwindet in einem Zimmer. Nach kaum einer Minute kommt er in voller Montur wieder heraus und überprüft jeden einzelnen, packt hier und dort noch Munition in Taschen, die leergeblieben sind, drückt Marina einen kleinen Feldstecher in die Hand und nickt schließlich zufrieden. »Sie müssten gleich da sein«, sagt er. »Wir fahren ein Stück weit auf dem Laster mit. Dann geht’s zu Fuß weiter.« »Zurück zum Bauernhof?«, fragt Marina und Marko nickt. »Und von dort aus weiter Richtung Osten. Unsere Leute haben sich auf dem Hügel in Stellung gebracht. Bis dorthin müssen wir uns keine Gedanken machen. Los, gehen wir!«
Der Laster steht schon unten, zehn müde Soldaten mustern die Gruppe kritisch, als man zusteigt. Nur einer nickt Antun und Darko zu, die anderen scheinen sich alle nicht zu kennen. Wer weiß, denkt man, wo die alle herkommen, aus irgendwelchen Dörfern an der Grenze zu Slowenien vielleicht, oder aus dem Ausland, wie man selbst, weiß Gott. Nur eines steht fest: Wer auch immer sie sind und woher sie auch kommen, sie sind alle bereit, ihr Leben zu riskieren. Und den Blicken nach zu urteilen sind sie nicht nur bereit, für ihre Familien und Landsleute zu sterben, sondern haben ihr Leben bereits riskiert und Freunde und Verwandte, Frauen, Kinder, Eltern verloren. Gut, dass die eigene Familie nicht hier ist, denkt man, so kann man sich auf den eigenen Tod konzentrieren und muss sich keine Gedanken um Menschen machen, die man liebt. Aber dann sieht man aus dem Augenwinkel, wie einen Marina von der Seite mustert, und fragt sich, ob dem tatsächlich so ist oder ob in dem Laster nicht schon jemand sitzt, den man liebt. Sie wendet den Blick ab, als man sie ansieht, und der Beifahrer schließt die Klappe und geht nach vorn zur Fahrerkabine. Als der Laster ruckartig anfährt, zweifelt man an den eigenen Gefühlen. Verknallt vielleicht. Höchstens verliebt. Und Verliebtheit ist immer noch meilenweit entfernt von Liebe. Man sollte sparsamer mit diesem Wort umgehen, sagt man sich und sieht zu Boden. Marina. So faszinierend sie auch ist und so sehr man sie auch begehren mag, etwas |194| steht zwischen einem und ihr, und es sind nicht die zwei, vielleicht drei Jahre, die sie älter ist.
Niemand spricht während der eine dreiviertel Stunde dauernden Fahrt. Erst als der Laster hält, kommt wieder Bewegung in die Soldaten und Marina, die einzige Soldatin. »Wartet hier auf mich«, sagt Marko und springt von der Ladefläche, »bin gleich zurück.«
Man steigt vom Laster und steht rauchend neben Josko und Darko, wartet darauf, dass Marko zurückkommt. Am Waldrand stehen Schützenpanzer, Jeeps und private, zu Militärzwecken konfiszierte Geländewagen, alle provisorisch mit schwarzer Farbe bemalt. Kisten mit Munition, Granaten- und Raketenwerfern werden abgeladen und verteilt. Zum ersten Mal seit man hier ist, sieht man die »echte« kroatische Armee: An die hundert Mann machen sich bereit, in den Wald aufzubrechen und eine neue Frontlinie einzurichten. Während man staunend zusieht und sich plötzlich als Teil von etwas Großem fühlt, was einem eine Sicherheit gibt, die man bisher nicht
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