Drift
Beschissen?
»Nun, ich würd sagen okay, denke ich«, sagte er. »Bin am Leben.«
»Ein Bier und was auch immer der Säufer neben mir trinkt«, bestellte Andreas.
»Und selbst?«, fragte Martin, ein Danke für den Whisky nickend.
»Auf der Fresse. Hab gesoffen gestern.«
»Heute bin ich dran«, murmelte Martin. »Was gibt’s denn zu ersäufen?«
Martin erzählte es ihm.
Andreas hörte aufmerksam zu und nickte schließlich.
»Okay«, sagte er, »alles klar. Schade einerseits, das mit Helena, das einzig Vernünftige andererseits. Aber das mit deinem Gesicht, Alter, das ist Scheiße. Wird hoffentlich nicht allzu hässlich, die Narbe.«
Martin hätte es nicht besser auf den Punkt bringen können.
»Der Arzt sagte, es wird nicht allzu schlimm. Hat vierzehn Nähte gemacht. Sollte später mit Dreitagebart kaum zu sehen sein.«
Er gab einen Schluck Wasser in den neuen Whisky, hob das Glas, stieß mit Andreas an und trank den dritten Whisky. Ohne ihn geschwenkt oder sonstwie gebührend gewürdigt zu haben; es würde eine lange Nacht werden und er morgen eine Leiche mit Tasche und Seesack sein; auf Etikette und Gourmet-Gehabe gab er im Moment einen Scheißdreck. Das einzige, was zählte, waren Schmerzbeseitigung und Sinnesbetäubung.
|200| »Noch einen, bitte«, bestellte er bei der Kellnerin und sie schenkte nach, ohne ihn dabei anzusehen. »Und für den Säufer neben mir«, fügte Martin hinzu, »noch ein Bier.«
Andreas grinste die Barkeeperin an und nickte. »Immer schön nachfüllen und erst dann damit aufhören, wenn die Gläser nach fünf Minuten immer noch voll sind.«
»Okay«, sagte die Gepiercte und drehte sich um, um sich mit Gläsern oder ihren Fingernägeln zu beschäftigen.
»Ich hab in Zadar eine Frau kennengelernt, weißt du«, sagte Martin, »oder zumindest hab ich das am Anfang gedacht.«
Andreas schob sofort seinen Barhocker näher an Martin heran und lehnte sich zu ihm hinüber.
»Erzähl!«, forderte er ihn gespannt auf.
Und Martin begann zu erzählen. Von der Fahrt auf die Insel Ugljan, nach Preko, vom alten Mann, der ihn aus dem Schlaf geweckt und mit seinem tief gefurchten und sonnengegerbten Gesicht erschreckt hatte, weil Martin zunächst seinen Großvater vor sich sah und sich fragte, ob er von einem Traum in einen anderen gerutscht war, aber als das Horn der Fähre markerschütternd tutete, wurde ihm klar, dass ihn nicht sein Großvater schüttelte, sondern der alte Mann, mit dem er kurz gesprochen hatte, bevor er eingenickt war: »Wir sind da, Junge.«
Martin rieb sich die Augen und bedankte sich fürs Wecken. Der alte Mann und er waren die letzten auf dem Oberdeck, alle anderen Passagiere hatten sich schon nach unten begeben und verließen die Fähre in und neben den Autos, die langsam über die Rampe auf die Insel rollten.
»Siehst du die kleine Fähre dort drüben, die mit dem roten Streifen auf dem Kamin?«
Der Alte zeigte auf eine kleine, rostige Fähre, die neben der Tankstelle festgetäut war. Martin nickte.
»Die bringt dich in etwa einer halben Stunde rüber auf die kleine |201| Insel. Trink einen Kaffee, komm zu dir, dann trink einen Schnaps und mach dir einen schönen Tag.«
Er gab Martin die Hand und zeigte mit der anderen auf die Hügel oberhalb des Dorfes.
»Und ich geh mich jetzt dort um meine Olivenbäume kümmern. Die vermissen mich nämlich schon.«
Er legte Martin zum Abschied eine schwere Hand auf die Schulter, drückte sie fest und zwinkerte ihm zu. Martin legte seine Hand auf die des Alten und nickte.
»Vielen Dank für das Gespräch, mein Herr. Und viel Spaß mit ihren Oliven.«
»Oh, mach dir darum mal keine Sorgen«, sagte der Alte.
Das ungleiche Paar gab sich nochmals die Hand wie zwei gute Bekannte und der Alte ging, während Martin noch einen Augenblick auf dem Plastiksitz auf Deck verharrte, um den Klängen des Schiffes, dem Lärm der Fahrzeuge unten im Rumpf und den Zikaden zuzuhören, deren Zirpen die gute dreiviertel Meile von der kleinen Insel bis hierher deutlich zu hören war.
»Na, dann wollen wir mal!«, sagte Martin zu sich selbst, sprang auf, schulterte den kleinen Rucksack und machte sich auf nach unten, wo es nach Diesel, Abgasen und Abenteuer roch.
Während er durch das Schiff ging, hielt er Ausschau nach dem Mädchen, aber sie war nirgends zu sehen. Also folgte er den Menschen über die Rampe und schloss sich einer Gruppe Arbeiter an, die auf das kleine Café gleich neben der Tankstelle zusteuerte. Er wartete, bis alle
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