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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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verstehst du? Offenbar triffst du immer, worauf du schießt, und von der Sorte gibt’s nicht viele. Und weil Marko plötzlich – Geschenk des Himmels (er hebt kurz seine prankenartigen Hände wie zum Gebet, lässt sie aber sogleich wieder auf den Tisch sinken und umfasst das kleine Glas vor sich, das in seinen fleischigen Fingern verschwindet) oder auch nicht, das wird sich noch herausstellen – so einen wie dich in der Gruppe hat und von dir überzeugt zu sein scheint, hat man uns zwei zu euch abkommandiert. Und jetzt geht’s auf die Jagd: Offiziere. Darkos aktueller Stand liegt bei zwölf. Darunter ein Major und zwei Oberste.« Er klopft Darko auf die Schulter, der in sein Glas starrt und mit weicher Stimme sagt: »Mach dir keine Sorgen, Junge.«
    Man macht sich keine Sorgen, man ist entsetzt. »Was heißt das?«, fragt man. »Ihr alle müsst meinetwegen hinter die Linien?« Man will wissen, ob man das richtig verstanden hat. Josko sieht einen an und nickt. »Wenn ich ungefähr den Überblick behalten habe, gestern Nacht, hast du allein irgendwas zwischen fünfzehn und zwanzig Mann erwischt vom Hügel aus. Wenn du so weitermachst, können wir denen ganz schön einen Knüppel zwischen die Beine schmeißen. Ohne Offiziere läuft nämlich nichts. Oder bedeutend weniger, zumindest.« »Bedeutend weniger«, bestätigt Marina und legt einem die Hand auf die Schulter. »Wir sind stolz auf dich. Und hör nicht auf Josko. Der redet immer Müll, meint das aber nicht so.« Josko fummelt umständlich nach seiner Pistole, zieht sie und zielt abwechselnd auf Marina und einen selbst. »Wer sagt, dass ich das nicht so meine? Hä? Wer, wer? Ich knall euch alle beide übern Haufen!« Er legt die Pistole auf den Tisch und stimmt ins Gelächter der anderen mit ein. Man ist noch nicht so weit, merkt man, diese |189| Art Humor kann man noch nicht. Darko nimmt sein Glas, hält es einem hin und man stößt mit ihm an. »Ihr seid alle nicht ganz gesund im Kopf«, sagt man und lächelt schief. »Stimmt«, sagt Darko und leert sein Glas. Gelächter, inmitten dessen Marina aufsteht und einen im Vorbeigehen wie zufällig mit den Fingerspitzen am Hals berührt; man fühlt die Berührung wie heiße Nadeln, die einem in die Haut gestoßen werden. Man sieht ihr nach, wie sie in der Küche verschwindet, und begegnet, als man sich wieder zur Gruppe am Tisch dreht, Joskos Blick, dem nichts entgangen ist; er zwinkert einem zu und stimmt wieder in Darkos und Antuns Lachen mit ein, herzlich, laut, man kann nicht anders als mitlachen, und durch das eigene Lachen kommt einem der Gedanke, wie unwirklich das alles ist und eigentlich gar nicht sein kann. Und als sollte dadurch die Unwirklichkeit unterstrichen werden, hört man plötzlich die besorgten Stimmen der Eltern und verstummt.
    Man muss anrufen. Heute noch. Sofort. »Kann man hier irgendwo telefonieren?« Ob man hier irgendwo telefonieren könne, wiederholt man laut und insistierend. Fragende Gesichter. Man wolle seine Eltern anrufen und sagen, dass man okay ist. »Im unteren Stock ist ein Telefon. Aber mach’s kurz, das Telefon läuft auf Marina.«
    Man steht auf und packt Marinas Stuhl; obwohl man sich im Kopf einigermaßen beieinander fühlt, machen die Beine nicht mit. Grinsen und Kopfschütteln seitens der anderen. Man werde Marina fragen, ob man das Telefon benützen dürfe, sagt man und Josko nickt. »Mach das.«
    Man müsse telefonieren, sagt man, nachdem man die Tür hinter sich geschlossen hat. Marina dreht sich um, zwei Teller mit Salami, Schinken und Käse in den Händen. »Dann bring das hier noch ins Wohnzimmer. Und bitte mach’s kurz.« Sie will weder wissen, wen man anrufen will, noch ob es ein Ferngespräch ist. Man sagt ihr, man wolle die Eltern in der Schweiz anrufen. Sie hätten seit vier Tagen nichts mehr von einem gehört und wüssten nicht, wo man sei. »Du bist ein Arschloch«, sagt sie und dreht sich von einem weg, |190| um Brot zu schneiden. Ob man trotzdem das Telefon …? »Du bist ein Arsch«, sagt sie. Man wertet das als ja. »Kannst du mir die Tür öffnen?«, fragt man, mit zwei Tellern in den Händen. Sie sieht einen kurz an, geht schnell zur Tür und reißt sie auf. »Sag ihnen, dass es dir gutgeht und dass es dir leid tut, du Idiot. Sie sterben bestimmt vor Sorge.« Man nickt und geht ins Wohnzimmer. Marina knallt die Türe hinter einem zu. Ihr Blick war enttäuscht, nicht wütend.
    »Aaaaaah!«, ertönt es aus drei Kehlen, als man die Teller auf den Tisch

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