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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Wagen als das Unfallfahrzeug
identifiziert.«
    Er runzelte die Stirn. »Ach, Herrgott,
und wenn? Nach all den Jahren hat das doch keine Beweiskraft mehr. Sie setzen
Millionen aufs Spiel, und warum das alles?«
    »Darum, weil ich mit Tippy gesprochen
habe und sie mir gesagt hat, dass sie es war.«
    »Ich sehe nicht, wieso das von Belang
sein sollte. Nur, weil David Barney behauptet, er hätte sie in der Mordnacht
gesehen? Das ist doch Quatsch.«
    »Sie sind daran vielleicht nicht
interessiert, aber das Gericht wird es mit Sicherheit interessieren. Warten Sie
nur, bis Herb Foss dahinter kommt. Er wird auf dem Zeitpunkt herumreiten, was
das Zeug hält.«
    »Aber wenn es doch früher war? Sie
wissen doch gar nicht, ob der Zeitpunkt stimmt.«
    »Doch, das weiß ich. Es gibt einen
Zeugen, und ich habe mit ihm gesprochen.«
    Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht
und legte sie einen Moment vor den Mund. Dann sagte er: »Auch das noch. Das
wird Lonnie gar nicht gefallen. Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
    »Er kommt heute Abend wieder. Dann
werde ich mit ihm reden.«
    »Sie wissen ja gar nicht, was für mich
in der Sache drinsteckt. Ich habe Tausende von Dollars investiert, von alldem
Schmerz und Leid gar nicht zu reden. Und das alles haben Sie zunichte gemacht.
Und weshalb? Wegen irgendeiner alten Fahrerflucht-Geschichte, die sechs Jahre
zurückliegt?«
    »Augenblick mal. Dieser Fußgänger ist
genauso tot wie Isabelle. Denken Sie vielleicht, sein Leben zählt nicht, nur
weil er schon zweiundneunzig war? Sprechen Sie mit seinem Sohn, wenn Sie etwas
von Schmerz und Leid hören wollen.«
    Ungeduld huschte über sein Gesicht.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizei die Sache an die
Staatsanwaltschaft weiterleitet. Tippy war damals noch Jugendliche, und sie hat
sich seither mustergültig geführt. Ich möchte wirklich nicht hartherzig
erscheinen, aber was geschehen ist, ist geschehen. In Isabelles Fall geht es
dagegen um kaltblütigen Mord.«
    »Ich möchte darüber nicht diskutieren.
Warten wir ab, was Lonnie sagt. Vielleicht sieht er das Ganze völlig anders.
Vielleicht hat er ja eine ganz neue Strategie parat.«
    »Darauf würde ich an Ihrer Stelle
hoffen. Sonst kommt David Barney nämlich mit einem Mord davon.«
    »Man kann nicht gut mit etwas
>davonkommen<, was man gar nicht getan hat.«
    In einem der Büros begann ein Telefon zu
klingeln. Wir hielten beide unwillkürlich inne, sahen in die Richtung und
warteten, dass der Anrufbeantworter in Aktion trat. Beim fünften Läuten warf
Voigt einen irritierten Blick nach hinten. »O verflixt, ich muss das Ding
abgestellt haben.« Er stieg aus, durchquerte hastigen Schrittes den
Ausstellungsraum und riss den Hörer beim siebten oder achten Läuten ans Ohr.
Als ich merkte, dass er wieder in ein längeres Gespräch verwickelt war, stieg
ich aus dem Rolls und verschwand durch den Seitenausgang.
    Die nächste Stunde verbrachte ich in
einem Café in Colgate. Nach außen hin frühstückte ich, aber in Wirklichkeit
verkroch ich mich nur. Ich wollte wieder die alte Kinsey sein... große Klappe
und einen Tritt für jeden, der ihr dumm kam. Duckmäuserisch und unsicher zu
sein war einfach ätzend.
     
    Die Wynington-Blake-Einsegnungshalle in
Colgate ist ein Allzweck-Sanktuarium, darauf angelegt, so gut wie jeder
denkbaren religiösen Veranstaltung gerecht zu werden. Beim Eintreten wurde mir
ein gedrucktes Programm überreicht. Ich setzte mich auf einen Platz ganz hinten
und brachte ein paar Minuten damit zu, meine Umgebung zu studieren. Der Bau war
entfernt kirchenähnlich: eine Pseudo-Apsis, ein Pseudo-Kirchenschiff mit einem
großen, bunten Fenster aus sattfarbenen Glasziegeln. Morleys geschlossener Sarg
stand vorn, flankiert von Trauerkränzen. Es gab nirgends ein religiöses Symbol —
keine Engel, keine Kreuze, keine Heiligen, kein Bildnis von Gott, Jesus,
Mohammed, Brahma oder sonst irgendeinem höchsten Wesen. An Stelle eines Altars
stand da ein länglicher Tisch, an Stelle einer Kanzel ein Rednerpult mit
Mikrofon.
    Wir saßen auf Kirchenbänken, aber es
gab keine Orgelmusik. Das sakrale Äquivalent einer
Kaufhaus-Musikberieselungsanlage umspülte uns mit gedämpften Akkorden, die vage
an eine Sonntagsschule erinnerten. Trotz des weltlichen Tenors der
Veranstaltung waren alle Leute feierlich dunkel gekleidet und angemessen still
und in sich gekehrt. Der Saal war voll, und die meisten Anwesenden hatte ich
noch nie gesehen. Ich fragte mich, ob die Etikette wohl die

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