Dringernder Verdacht
Ich
beschloss, das Frühstück ausfallen zu lassen und frühzeitig ins Büro zu fahren.
Es war sieben Uhr achtundzwanzig, und mein
Wagen war der erste auf dem Parkplatz. Da in das Treppenhaus kein Tageslicht
hereinfiel, war es stockfinster. Das Licht der kleinen Taschenlampe an meinem
Schlüsselring reichte gerade aus, um zu verhindern, dass ich stolperte und auf
die Nase fiel. Im dritten Stock ließ ich mich durch die Vordertür ein. Alles
war düster und kalt. Ich brachte ein paar Minuten damit zu, Lichter anzuknipsen
und die Illusion zu erzeugen, dass der Arbeitstag begonnen hatte. Ich warf die
Kaffeemaschine an. Als ich mein Büro aufgeschlossen hatte, verbreitete sich
bereits der Duft von frischem Kaffee.
Ich warf einen Blick auf meinen
Anrufbeantworter und sah, dass das Lämpchen beharrlich blinkte. Ich drückte die
Abhörtaste und wurde von einem ärgerlich klingenden Kenneth Voigt begrüßt.
»Miss Millhone. Ken Voigt. Es ist jetzt Donnerstagabend... äh... Mitternacht.
Ich bekam eben einen Anruf von Rhe Parsons, die völlig außer sich ist wegen
dieser Geschichte mit Tippy. Ich habe versucht, Lonnie in Santa Maria zu
erreichen, aber die Vermittlung im Motel ist nicht mehr besetzt. Ich bin morgen
Früh ab acht im Büro, und ich wünsche, dass diese Angelegenheit bereinigt wird.
Rufen Sie mich an, sobald Sie da sind.« Er nannte noch die Telefonnummer von
Voigt Motors und verabschiedete sich dann mit einem Klicken.
Ich sah auf die Uhr. Sieben Uhr
dreiundvierzig. Ich wählte die Nummer, die er hinterlassen hatte, bekam aber
nur ein Tonband, das mir in höflichem Ton erklärte, die Niederlassung sei
leider derzeit geschlossen, und mir eine Nummer für dringende Notfälle gab,
weil es ja immerhin sein konnte, dass ich anrief, um mitzuteilen, das Gebäude
gehe gerade in Flammen auf. Ich hatte die Jacke noch an, und es hatte wenig
Sinn, mich an den Schreibtisch zu setzen. Ich konnte mich ebenso gut gleich dem
Donnerwetter stellen. Ida Ruth kam gerade, und ich sagte ihr, wo ich hinwollte,
und überließ ihr das Feld. Ich ging wieder hinunter auf den Parkplatz und stieg
in mein Auto. Ich hatte Kenneth Voigt erst ein einziges Mal gesehen, aber er
war mir als jemand erschienen, der anderen gern die Meinung sagt. Mir war
überhaupt nicht danach, die jüngsten Entwicklungen mit ihm zu diskutieren.
Schon allein deshalb nicht, weil ich Lonnie noch nichts erzählt hatte und weil
ich fand, es sei sein Job, die schlechten Nachrichten zu übermitteln. Zumindest
konnte er Voigt auch gleich hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen beraten.
Auf dem Freeway floss noch mäßiger
Verkehr, und ich war um fünf nach acht bei der Ausfahrt Cutter Road. Voigt
Motors war autorisierter Vertragshändler für Mercedes-Benz, Porsche, Jaguar,
Rolls-Royce, Bentley, BMW und Aston Martin. Ich parkte meinen VW und
marschierte zum Eingang. Das Gebäude sah aus wie eine Südstaaten-Plantage, ein
Tribut aus Glas und Beton an Stil, Eleganz und aristokratische Lebensart. Ein
diskretes, handgefertigtes Schild verkündete in goldenen Lettern die
Geschäftszeiten: Montag-Freitag 8.30 - 20 Uhr, Samstag 9 - 18 Uhr und Sonntag
10 - 16 Uhr. Ich legte die gewölbte Hand an die Rauchglasscheibe und spähte
nach irgendeinem Lebenszeichen in den dunklen Räumen. Ich erkannte sechs oder
sieben glänzende Automobile, und irgendwo ganz hinten brannte Licht.
Rechterhand schwang sich eine Treppe nach oben. Ich klopfte mit einem Schlüssel
gegen die Scheibe und hoffte, das leise Klicken würde weit genug tragen, um
etwas zu bewirken.
Kurz darauf erschien Kenneth Voigt oben
auf der Treppe. Er lugte über das Geländer, kam dann herunter und über den
schimmernden Marmorboden auf mich zu. Er trug einen dunklen Nadelstreifenanzug,
ein frisch gestärktes, blaues Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Er sah aus
wie ein Mann, der es geschafft hat, eines der prosperierendsten
Nobel-Autohäuser im ganzen Bezirk von Santa Teresa aufzubauen. Er machte einen
Schlenker und knipste erst noch die Raumbeleuchtung an, die eine Flotte
jungfräulicher Automobile illuminierte. Er schloss auf und ließ mich ein.
»Demnach haben Sie meine Nachricht bekommen.«
»Ich war heute schon früh im Büro. Ich
dachte mir, wir könnten uns auch gleich persönlich unterhalten.«
»Da werden Sie sich einen Moment
gedulden müssen. Ich wollte gerade ein Telefonat nach New York machen.« Er ging
quer durch den Ausstellungsraum zu einer Reihe identischer, an der Frontseite
verglaster Bürozellen,
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