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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Qualität der Ermittlungsarbeit an der Sorgfalt im Umgang mit dem
Papierkram. Ohne penible Dokumentation riskiert man leicht, sich im Zeugenstand
zum Narren zu machen. Nichts freut den gegnerischen Anwalt mehr als die
Entdeckung, dass ein Ermittler nicht sauber Buch geführt hat.
    Ich packte eins nach dem anderen in die
Einkaufstasche — seinen Kalender, seinen Terminplaner. Ich durchsuchte seine
Schubladen und seine Ein- und Ausgangskästen. Ich vergewisserte mich, dass
nicht noch eine versprengte Akte irgendwo hinter den Möbeln steckte. Als ich
einigermaßen überzeugt war, alle einschlägigen Unterlagen eingesammelt zu
haben, steckte ich seinen Schlüsselbund in meine Schultertasche. Dann zog ich
die Tür des Arbeitszimmers hinter mir zu. Vom anderen Ende des Flurs hörte ich
Gemurmel. Louise und Dorothy unterhielten sich.
    Auf dem Weg zur Vordertür kam ich am
Eingang zum Wohnzimmer vorbei. Ich machte einen kleinen, unautorisierten Abstecher
zu dem Ungetüm, das wohl Morleys Lehnsessel gewesen sein musste: der Bezug aus
uraltem, rissigem Leder, die Polsterung, die die Umrisse seiner mächtigen Figur
nachgeformt hatte. Da stand ein geleerter Aschenbecher, auf einem Tischchen
noch die klebrigen Ringe seiner Whiskeygläser. Passionierte Schnüfflerin, die
ich bin, untersuchte ich rasch die Schublade des Tischchens und die
Sesselritzen. Nichts, natürlich, aber mir war wohler so.
    Meine nächste Station war Morleys Büro,
das in einer kleinen Nebenstraße im Geschäftsviertel von Colgate lag. Dieses
ehemalige Wohnviertel beherbergte jetzt lauter kleine Firmen:
Installationsbetriebe, Autozubehörfirmen, Arztpraxen und Maklerbüros. Die
früheren Einfamilien-Holzbungalows waren alle nach dem gleichen Muster erbaut.
Das Wohnzimmer diente jetzt als Geschäftsraum einer Versicherung oder
dergleichen. Im Falle von Morleys Büroadresse war es ein Schönheitssalon, der
ihm einen nach hinten gelegenen Raum mit Bad vermietet hatte. Ich ging um das
Haus herum zum Seiteneingang. Zwei Stufen führten zu einem überdachten
Betonabsatz. Die Eingangstür zum Büro hatte im oberen Teil eine große
Milchglasscheibe, durch die ich nichts sehen konnte. Morleys Name stand rechts
neben der Tür, auf einem schmalen Schildchen, das aussah, als hätte es seine
Frau zur Firmengründung für ihn gravieren lassen. Ich probierte Schlüssel um
Schlüssel, aber keiner passte. Ich drehte noch einmal am Türknauf. Die Bude war
fester verrammelt als jedes Gefängnis. Ohne groß nachzudenken, ging ich nach
hinten, um zu sehen, ob das Fenster offen war. Da fiel mir ein, dass ich mich
ja an die Spielregeln halten sollte. So ein Mist, dachte ich. Ich war im
Auftrag hier. Ich war berechtigt, die Akten einzusehen, aber nicht, das Schloss
zu knacken. Das war doch irgendwie nicht richtig. Wozu dann die ganze
langjährige Einbruchspraxis?
    Ich ging wieder nach vorn und betrat,
ganz gesetzestreue Bürgerin, den Schönheitssalon. Die Fenster waren mit
künstlichen Schneewehen dekoriert, und zwei Weihnachtsengelchen spannten ein
Spruchband mit der Aufschrift Fröhliche Weihnachten quer über die
Scheibe. In der einen Ecke stand ein großer, geschmückter Weihnachtsbaum mit
ein paar bunten Päckchen darunter. Es gab insgesamt vier Behandlungsplätze,
aber nur drei waren besetzt. Auf dem einen bekam gerade eine Frau in den
Vierzigern mit einem Plastikumhang eine Dauerwelle verpasst. Die Kosmetikerin
hatte das feuchte Haar in Partien aufgeteilt und drehte es auf
hühnerknochenfeine Lockenwickler. Die Dauerwellflüssigkeit verbreitete einen
Geruch nach faulen Eiern. In der zweiten Nische saß eine Frau mit einer
perforierten Bademütze auf dem Kopf, und die Schönheitsspezialistin zog mit
einer Art Häkelnadel dünne Haarsträhnen durch die Gummihaut. Der Frau liefen
Tränen über die Wangen, aber sie schwatzte munter mit der Kosmetikerin, als sei
das Ganze ein alltägliches Ereignis. Zu meiner Rechten machte sich eine
Maniküre an einer Kundin zu schaffen, die sich die Fingernägel kau-gummirosa
lackieren ließ.
    In der rückwärtigen Wand sah ich eine
Holztür, die vermutlich zu Morleys Büro führte. Im hinteren Teil des Raums war
eine Frau damit beschäftigt, Handtücher zu falten und ordentlich zu stapeln.
Als sie mich unschlüssig dastehen sah, kam sie nach vorn. Auf ihrem
Namensschildchen stand »Betty«. Angesichts ihres Berufs erstaunte es mich, dass
sie keine schickere Frisur trug. Sie war offensichtlich einem dieser
(gewöhnlich männlichen)

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