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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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können Sie gern
wieder kommen und es sich holen.«
    »Danke. Ich kann Ihnen ja eine Liste
dalassen, was ich mitgenommen habe.«
    Sie wischte mein Anerbieten beiseite.
»Nicht nötig. Wir kennen Mr. Kingman seit vielen Jahren.«
    Ich trat in die Diele. Louise
marschierte einen kurzen Flur hinunter, und ich folgte ihr. Keine Spur von
Weihnachten. Vielleicht war es ja angesichts der Krankheit von Mrs. Shine ganz
erleichternd, dass nach Morleys Tod in diesem Jahr keine weihnachtlichen
Bemühungen anstanden. Es roch nach Hühnersuppe. »Hatte Morley noch ein Büro
hier in Colgate?«
    »Ja, aber seit es Dorothy so schlecht
ging, hat er das meiste hier gemacht. Soweit ich weiß, ist er allerdings
meistens morgens hingefahren, um seine Post zu holen. Wollten Sie sich dort
auch umsehen?« Sie öffnete eine Tür zu einem Raum, der wohl ursprünglich ein
Schlafzimmer gewesen, dann aber mittels eines Schreibtischs und einiger
Aktenschränke in ein Büro umgewandelt worden war. Die Wände waren beige gestrichen,
und der beige Florteppichboden war genauso schäbig, wie ich ihn mir vorgestellt
hatte.
    »Das habe ich mir überlegt. Wenn ich
die Akten hier nicht finde, heißt das ja wahrscheinlich, dass er sie im Büro
hatte. Könnte ich denn irgendwie einen Schlüssel bekommen?«
    »Ich weiß nicht, wo er die Schlüssel
hatte, aber ich werde Dorothy fragen. Du liebe Güte«, sagte sie, während sie
sich umsah. »Kein Wunder, dass Morley hier niemanden reinlassen wollte.«
    Der Raum war ziemlich kühl und
angefüllt mit dem Chaos eines Menschen, der bei der Handhabung seiner
Angelegenheiten nach keinem bekannten System verfahren war. Ob er wohl seinen
Schreibtisch aufgeräumt hätte, wenn er gewusst hätte, dass er tot umfallen
würde? Unwahrscheinlich, dachte ich. »Ich werde fotokopieren, was ich brauche,
und die Akten so bald wie möglich wieder bringen. Ist morgen früh jemand hier?«
    »Was ist denn morgen? Mittwoch? Soweit
ich weiß, ja. Und wenn nicht, können Sie einfach ums Haus gehen und die Sachen
auf dem Trockner hinten im Wirtschaftsraum abstellen. Wir lassen die Tür
meistens auf, für die Zugehfrau und die Krankenschwester. Ich werde Ihnen den
Schlüssel zur Morleys Büro besorgen. Dorothy weiß bestimmt, wo er ist.«
    »Danke.«
    Während ich darauf wartete, dass sie
wiederkam, drehte ich eine Runde durch den Raum, um ein erstes Gefühl für
Morleys Ablagemethoden zu bekommen. Er musste wohl zwischendurch Anläufe
unternommen haben, sich zu organisieren, da er Ordner mit den Aufschriften
»Vorgänge«, »Anhängig« und »Aktuell« angelegt hatte. Zwei trugen den Vermerk
»Erledigen«, einer die Mahnung »Dringend«, und eine Faltmappe war mit
»Wiedervorlage« gekennzeichnet. Der jeweilige Inhalt schien überholt, wild
zusammengewürfelt, chaotisch wie das ganze Zimmer.
    Louise kam wieder herein, einen
Schlüsselbund in der Hand. »Am besten, Sie nehmen sie alle mit«, sagte sie.
»Weiß der Himmel, welcher welcher ist.«
    »Brauchen Sie sie denn nicht?«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, wozu.
Wenn Sie so nett wären, sie morgen einfach hier zu hinterlegen. Ach ja, ich
habe Ihnen eine große Einkaufstüte mitgebracht, für den Fall, dass Sie die
Sachen zusammenpacken wollen.«
    »Gibt es einen Trauergottesdienst?«
    »Die Trauerfeier ist Freitagmorgen, im
Wynington-Blake-Bestattungsinstitut hier in Colgate. Ich weiß nicht, ob Dorothy
die Kraft hat. Wir warten so lange, weil Morleys Bruder aus Süd-Korea kommt. Er
ist Projektingenieur bei den Pionieren in Camp Casey. Er kann nicht vor
Donnerstagabend in Santa Teresa sein. Wir haben den Gottesdienst für Freitag,
zehn Uhr, angesetzt. Ich weiß, Frank wird kaputt sein wegen der Zeitumstellung,
aber länger konnten wir es wirklich nicht hinausschieben.«
    »Ich wüde gern kommen«, sagte ich.
    »Das wäre sehr nett«, sagte sie. »Ich
weiß, dass es ihn freuen würde. Sie finden ja selbst hinaus, wenn Sie fertig
sind. Ich muss Dorothy jetzt ihre Spritze geben.«
    Ich bedankte mich noch einmal, aber sie
strebte bereits der nächsten Pflicht entgegen. Sie lächelte mich freundlich an
und schloss die Tür hinter sich.
    Die nächsten dreißig Minuten verbrachte
ich damit, sämtliche Akten aufzustöbern, die nach menschlichem Ermessen
irgendetwas zu dem Mord an Isabelle und dem anstehenden Zivilprozess enthalten
konnten. Lonnie hätte einen Anfall gekriegt, wenn er gewusst hätte, wie
schlampig Morley an die Sache herangegangen war. In gewisser Weise bemisst sich
die

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