Dringernder Verdacht
Sado-Coiffeure in die Hände gefallen, die sich ein
Vergnügen daraus machen, die Frisuren von über fünfzigjährigen Frauen zu
verschandeln. Der Schnitt, der ihr angetan worden war, bestand aus einem
rasierten Hinterkopf und einer krausen Tolle vor der Stirn und ließ ihren Hals
plump und ihr Gesicht ängstlich wirken. Sie schnupperte und rümpfte die Nase:
»Puh! Wenn sie schlau genug sind, Menschen auf den Mond zu schießen, wieso
schaffen sie’s dann nicht, eine Dauerwelle zu fabrizieren, die nicht stinkt?«
Sie fischte einen Plastikumhang vom nächststehenden Stuhl und taxierte mich mit
geübtem Auge. »Junge, Junge, da haben Sie Recht. Ihr Haar ist wirklich ein Notfall.
Nehmen Sie Platz.«
Ich sah mich um, um zu ergründen, mit
wem sie sprach. »Wer, ich?«
»Haben Sie nicht eben angerufen?«
»Nein, ich wollte ins Büro von Morley
Shine, aber es ist abgeschlossen.«
»Ach, tut mir Leid, dass ich Ihnen das
sagen muss, junge Frau, aber Morley ist vor ein paar Tagen gestorben.«
»Ich weiß. Verzeihung, ich hätte mich
vorstellen sollen.« Ich nahm meinen Ausweis heraus und hielt ihn ihr hin.
Sie studierte ihn kurz, runzelte die
Stirn und zeigte auf meinen Namen. »Wie spricht sich das aus?«
»Kinsey«, sagte ich.
»Nein, der Nachname. So wie Baloney?«
»Nein, nicht wie Baloney. Mill -hone.«
»Oh, Mill -hone«, sprach sie mir brav nach. »Ich dachte, es heißt Mill- hony , so wie das Frühstücksfleisch.« Sie
sah wieder auf die Kopie meiner Detektiv-Lizenz. »Sind Sie vielleicht aus Los
Angeles?«
»Nein, ich bin von hier.«
Sie sah auf mein Haar. »Ich dachte, das
ist vielleicht eine von diesen neuen Mode-Frisuren, die sie dort am Melrose
machen. Asymmetrisch, nennen sie das, Ellipsenform oder so ähnlich. Sieht
meistens aus wie von einem Deckenventilator abgesäbelt.« Sie lachte über ihren
Scherz und klopfte sich auf die Brust.
Ich beugte mich zurück, um mich im
nächsten Spiegel sehen zu können. Ich sah wirklich etwas seltsam aus. Ich ließ
mein Haar seit einigen Monaten wachsen, und es war auf der einen Seite
eindeutig länger als auf der anderen. Außerdem wirkte es ein bisschen zerrupft,
und auf dem Oberkopf stand ein Büschel ab. Unsicherheit überkam mich. »Meinen
Sie, ich sollte es schneiden lassen?«
Das entlockte ihr ein schallendes
Lachen. »Na, das können Sie laut sagen. Sieht aus, als ob ein Verrückter mit
einer Nagelschere dran rumgeschnippelt hätte!«
Ich fand den Vergleich nicht ganz so
lustig wie sie. »Vielleicht ein andermal«, sagte ich. Ich beschloss, zur Sache
zu kommen, ehe sie mir noch einen Haarschnitt aufschwatzte, den ich hinterher
bereuen würde. »Ich arbeite für einen Anwalt namens Lonnie Kingman.«
»Ach, klar kenne ich Lonnie. Seine Frau
war in derselben Kirche wie ich. Was hat er damit zu tun?«
»Morley hat für ihn gearbeitet, und
jetzt übernehme ich den Fall. Ich würde gern sein Büro sehen.«
»Armer Kerl«, sagte sie. »Die Frau so
krank und alles. Er hat hier seit Monaten nur rumgehangen und nie etwas getan,
soweit ich mitgekriegt habe.«
»Er hat wohl viel zu Hause gemacht«,
sagte ich. »Ah, könnte ich wohl von hier aus in sein Büro kommen? Ich habe die
Tür da hinten gesehen. Führt die zu seinen Räumen?«
»Morley hat sie immer benutzt, wenn
hinten jemand stand, der Geld wollte.« Sie führte mich nach hinten, was ich als
Kooperation deutete.
»Kam das oft vor?«, fragte ich. Es fiel
mir sehr schwer, meine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken,
wenn sie sich so förmlich aufdrängten.
»In letzter Zeit schon.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn
ich reingehe und mir die Akten hole, die ich brauche?«
»Na ja, wieso nicht? Ist sowieso nichts
da drin, was sich zu klauen lohnen würde. Gehen Sie ruhig rein, und bedienen
Sie sich. Ist nur ein Verriegelungsknopf auf dieser Seite.«
»Danke.«
Ich trat durch die Verbindungstüre in
den dahinter gelegenen Raum, das frühere Schlafzimmer. Es roch muffig. Der
Teppichboden war schmutzig braun, vermutlich so gewählt, weil man darauf keinen
Dreck sah. Dafür sah man den Staub und die Fusseln umso besser. Ich fand eine
kleine Kammer, die Morley als Stauraum für alles Mögliche benutzt hatte, ein
kleines Bad mit braunem PVC-Boden, ein Klo mit Holzbrille, ein Mini-Waschbecken
und eine Duschkabine aus Fiberglas. Einen deprimierenden Moment lang dachte
ich, ob ich wohl auch eines Tages so enden würde: als Kleinstadt-Detektivin in
einem trübseligen
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