Dringernder Verdacht
Autoradio gekommen war.
Das Erinnerungsfragment erlosch so plötzlich, als hätte es jemand ausgeknipst.
Ich sah den Rest des Films durch, fand
aber wenig Aufsehenerregendes. Ich ging wieder an den Anfang zurück und
kopierte alles bis auf die Annoncen und die Kleinanzeigen. Ich spulte den Film
zurück und packte ihn in die Hülle. Ich zahlte im Vorbeigehen bei der Aufsicht
für die Kopien und dachte an die Leute, die ich über ihr Tun und Lassen an
jenen Tagen würde ausquetschen müssen. Woran würde ich mich noch erinnern, wenn
mich jemand nach der Nacht fragte, in der Isabelle ermordet worden war? Ein
Fragment war wieder aufgetaucht, aber ansonsten war da nur ein schwarzes Loch.
4
Ich holte meinen Wagen aus dem Parkhaus
und fuhr raus zur Haft- und Besserungsanstalt des Santa Teresa County Sheriffs
Department. Morleys Aufzeichnungen über sein Gespräch mit Curtis McIntyre
gehörten zu den Unterlagen, die ich im richtigen Ordner gefunden hatte, wenn
auch die Vorladung nie zugestellt worden war. Er hatte offenbar Mitte September
mit Curtis geredet, und seither hatte niemand mehr nachgehakt. Morleys Notizen
zufolge hatte McIntyre in Barneys erster Nacht im Knast mit ihm in einer Zelle
gesessen. Er behauptete, es habe sich eine Art Freundschaft entwickelt, mehr
von seiner Seite aus als von Barneys. Die Sache habe ihn beschäftigt, da Barney
doch offensichtlich jemand gewesen sei, der alles gehabt habe. Da er sonst im
Gefängnis immer nur mit armen Schluckern zusammengekommen sei, habe er den Fall
in den Zeitungen verfolgt. Als dann der Prozess angelaufen sei, habe er
unbedingt dabei sein wollen. Er und Barney hätten bis zum Tag des Freispruchs kaum
miteinander geredet. Als David Barney den Gerichtssaal verlassen habe, sei er
auf ihn zugegangen, um ihm zu gratulieren. Da habe Barney jene bewusste
Bemerkung gemacht, sinngemäß, dass er gerade mit einem Mord davongekommen sei.
Ich konnte den Aufzeichnungen nicht entnehmen, ob Curtis sich dazu noch näher
geäußert hatte oder nicht.
Ich parkte vor dem Gefängnis, gegenüber
dem Parkplatz des Santa Teresa Sheriffs Department mit seiner Flotte von
schwarzweißen Streifenwagen. Ich marschierte die Zufahrt hinauf und durch den
Haupteingang in die kleine Vorhalle, wo ich an den L-förmigen Anmeldeschalter
mit dem Trennglas trat. Ich hatte sechs Wochen zuvor eine Nacht im Gefängnis
verbracht und war froh, diesmal in legaler Mission zu kommen. Es war sehr viel
angenehmer, durch die Vordertür hereinzuspazieren, als von einem Beamten durch
den Hintereingang geführt zu werden.
Ich meldete mich an und füllte einen
Besucher-Passierschein aus. Die Frau hinter dem Schalter nahm das Formular und
verschwand. Ich wartete in der Eingangshalle und studierte die Anschlagtafel,
während sie durchgab, dass jemand Curtis in den Besuchsraum bringen solle. An
der Wand neben dem öffentlichen Münzfernsprecher waren alle empfehlenswerteren
Kautions-Bürgen sowie die Taxi-Unternehmen von Santa Teresa aufgelistet.
Verhaftet zu werden ist meist ein unerwarteter Schlag. Wenn man dann gegen
Kaution wieder rauskommt und kein Auto hat, weil es konfisziert wurde, sitzt
man hier fest — ein zusätzlicher Schlag nach einer demütigenden Nacht.
Die Frau hinter dem Schalter machte mir
ein Zeichen. »Ihr Klient kommt gleich rauf. Kabine zwo.«
»Danke.«
Ich überquerte den kurzen Flur und ging
durch die Tür zu den Sprechkabinen. Es gab in diesem Trakt nur drei, so
angeordnet, dass die Häftlinge unter vier Augen mit ihren Anwälten,
Bewährungshelfern oder sonstigen legitimierten Besuchern sprechen konnten. Ich
trat in den zweiten »Raum«, der etwa einszwanzig breit war. Die Ausstattung
bestand aus einem gläsernen Sprechfenster über einer Art Tresen und einer Fußstange,
wie man sie in Bars findet. Ich trat an den Tresen, stützte die Ellbogen auf
die Platte und einen Fuß auf die Stange. Hinter der Scheibe war ein Gelass, das
genauso aussah wie meines, mit einer Tür in der Rückwand, durch die die
Häftlinge hereingeführt wurden. Kurz darauf ging die Tür auf, und Curtis McIntyre
wurde hereingebracht. Er schien erstaunt über den außerplanmäßigen Besuch und
verblüfft, als er mich sah, denn wahrscheinlich hatte er seinen Anwalt
erwartet.
Er war achtundzwanzig, hager, mit langem
Oberkörper und so schmalen Hüften, dass seine Hose kaum Halt fand. Er sah gut
aus in der blauen Gefängniskluft. Das Hemd war kurzärmlig und gab lange, glatte
Arme frei, der perfekte
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