Dringernder Verdacht
Dreimalvier-Meter-Gelass, das nach Schwamm und
Hausstaubmilben roch. Ich setzte mich auf seinen Drehstuhl und lauschte dem
Quietschen, als ich mich zurücklehnte. Ich schnappte mir seinen
Monats-Übersichts-Kalender. Ich durchsuchte alle seine Schubladen. Stifte,
Kaugummipapierchen, ein Hefter ohne Heftklammern. Er hatte heimlich fettiges
Zeug genascht. Im Papierkorb steckte ein zusammengeknickter, flacher, weißer
Bäckereikarton. Auf der Pappe war ein großer Fettfleck, und oben drauf lagen
die Überbleibsel von irgendetwas Gebackenem. Wahrscheinlich war er jeden Morgen
in sein Büro gekommen, um Doughnuts und süße Teilchen zu verdrücken.
Ich stand auf und ging zu dem
Aktenschrank an der gegenüberliegenden Wand. Unter »V« wie VOIGT/BARNEY fand
ich mehrere mit Papieren voll gepfropfte Aktenordner. Ich nahm sie heraus und
stapelte sie auf dem Tisch. Plötzlich wurde hinter mir die Tür aufgestoßen, und
ich fuhr zusammen.
Es war Betty aus dem Schönheitssalon.
»Finden Sie alles, was Sie brauchen?«
»Ja. Alles bestens. Offenbar hat er die
meisten Akten zu Hause gehabt.«
Sie verzog das Gesicht, als sie den
Moderduft roch. Sie ging zum Schreibtisch und nahm den Papierkorb an sich. »Das
hier nehme ich besser mit. Der Müll wird zwar erst am Freitag geholt, aber ich
will keine Ameisen hier drinnen haben. Morley hat sich seine Pizza immer
hierher kommen lassen, wo ihn seine Frau nicht überwachen konnte. Ich weiß,
angeblich war er auf Diät, aber er kam immer wieder mit Pappschalen vom
Chinesen und mit McDonalds-Tüten an. Ich sage Ihnen, der Mann hat was
weggeputzt. Stand mir ja nicht zu, was zu sagen, aber er hätte wirklich besser
auf sich aufpassen sollen.«
»Da sind Sie heute schon die Zweite, die
das sagt. Aber man kann die Leute wohl nicht daran hindern, zu leben, wie sie
wollen.« Ich nahm die Akten und den Kalender an mich. »Danke fürs Reinlassen.
Ich nehme an, dass nächste Woche jemand herkommt und ausräumt.«
»Sie suchen nicht zufällig ein Büro?«
»Nicht so eins«, sagte ich ohne Zögern.
Später kam mir der Gedanke, dass ich sie womöglich beleidigt hatte, aber es
rutschte mir einfach so heraus. Das letzte, was ich von ihr sah, war ihr
Rücken, als sie Morleys Eingangstür öffnete, um den Papierkorb nach draußen zu
stellen.
Ich ging zu meinem Auto zurück,
deponierte den Aktenstapel auf dem Rücksitz und fuhr wieder zurück nach Santa
Teresa, wo ich das Parkhaus neben der Stadtbücherei ansteuerte. Ich schnappte
mir ein Notizbrett aus dem Fond, schloss den Wagen ab und marschierte in die
Bibliothek. Drinnen ging ich nach unten in den Zeitschriftensaal, wo ich die
Aufsicht nach den alten Jahrgängen des Santa Teresa Dispatch fragte.
Insbesondere interessierten mich die Nachrichtenteile vom 25., 2 6 . und 27. Dezember des
Jahres, in dem Isabelle Barney ermordet worden war. Ich ging mit dem Mikrofilm
zu einem der Lesegeräte, legte ihn ein und spulte geduldig zurück, bis ich zu
dem betreffenden Zeitraum kam. Ich notierte mir die wenigen bedeutsamen
Ereignisse jenes Wochenendes. Weihnachten war auf einen Sonntag gefallen.
Isabelle war in der Nacht zum Montag gestorben. Vielleicht würde es etwas
nützen, dem Gedächtnis der Leute mit ein paar nebensächlichen Fakten auf die
Sprünge zu helfen. Ein Unwetter mit schweren Regenfällen hatte über Kalifornien
getobt und zu einem Riesenstau auf der nach Norden führenden Spur des Freeway
101 unmittelbar südlich der Stadt geführt. Es hatte eine kleinere Anzahl von
Straftaten gegeben, darunter einen tödlichen Unfall mit Fahrerflucht, bei dem
ein alter Mann auf der oberen State Street von einem Lieferwagen angefahren
worden war. Außerdem einen Raubüberfall auf einen Supermarkt, zwei
Einbruchdiebstähle und ein vermutlich auf Brandstiftung zurückgehendes Feuer in
den Morgenstunden des 26. Dezember, das ein Foto-Studio zerstört hatte. Weiter
notierte ich eine Meldung über einen zweieinhalbjährigen Jungen, der leichte
Verletzungen erlitt, als er, allein im Auto zurückgelassen, mit einem 44er
Revolver hantierte. Beim Lesen kamen mir selbst Erinnerungsblitze. Ich hatte
das Feuer völlig vergessen, obgleich ich auf der Rückfahrt von einer
Observation daran vorbeigekommen war. Die lodernden Flammen hatten sich wie
eine Fackel gegen den schwarzen Nachthimmel abgehoben. Der Regen hatte Dunstschwaden
als surrealen Kontrapunkt dazugeliefert, und ich war erschrocken, als plötzlich
James Taylors Version von »Fire and Rain« aus meinem
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