Dringernder Verdacht
prima«, murmelte ich, aber es
schmeckte tatsächlich gut — scharf und frisch. »Haben Sie vielleicht ein Foto
von ihr?«
»Ja, natürlich. Augenblick, ich hole
eins.«
»Bleiben Sie sitzen, das eilt nicht«,
sagte ich mit vollem Mund, aber sie war schon auf dem Weg zu ihrem
Nachttischchen. Gleich darauf kam sie mit einem Foto in einem silbernen Rahmen
zurück.
Sie reichte mir das Bild und setzte
sich wieder. »Wir waren Zwillingsschwestern. Zweieiig, nicht eineiig. Sie war
neunundzwanzig, als es aufgenommen wurde.«
Ich studierte das Foto. Es war das
erste, was ich von Isabelle Barney sah. Sie war hübscher als Simone. Sie hatte
ein sanft gerundetes Gesicht und glänzendes, dunkles Haar, das ihr elegant auf
die Schultern fiel und ihre breiten Wangenknochen in seidigen Strähnen
umrahmte. Ihre Augen waren hellbraun. Sie hatte eine kräftige, kurze Nase und
einen breiten Mund und war, wenn überhaupt, nur ganz dezent geschminkt. Sie
trug offenbar eine Art T-Shirt mit weitem, rundem Ausschnitt, dunkelbraun wie
ihr Haar. Ich nickte unwillkürlich. »Man sieht die Ähnlichkeit. Könnten Sie mir
ein bisschen von Ihrer Familie erzählen?«
Ich gab ihr das Bild zurück, und sie
stellte es am Tischende auf. Isabelle sah uns ernst zu, während wir
weiterredeten. »Unsere Eltern waren beide Künstler und ein bisschen
exzentrisch. Mutter hatte ererbtes Vermögen, so dass sie und Daddy nie viel tun
mussten. Einmal sind sie im Sommer für einen Sechs-Wochen-Trip nach Europa
gefahren und dann schließlich zehn Jahre dort geblieben.«
»Was haben sie dort gemacht?«
Simone biss von ihrem Sandwich ab und
kaute, ehe sie antwortete. »Sich herumgetrieben. Ich weiß es nicht. Sie sind
gereist und haben gemalt und gelebt wie Bohemiens. Ich nehme an, sie haben am
Rand der besseren Gesellschaft herumgelungert. Als freiwillige Exilanten, wie
Hemingway. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sind sie wieder in die Staaten
zurückgekehrt und irgendwie in Santa Teresa gelandet. Ich glaube, sie hatten
etwas darüber gelesen und gefunden, dass es nett klang. Mittlerweile wurde auch
ihr Geld knapp, und Daddy befand, dass er sich besser um die Anlagen kümmern
musste. Er entpuppte sich als Finanzgenie. Als wir geboren wurden, schwammen
sie schon wieder im Geld.«
»Wer war denn die Ältere, Sie oder
Isabelle?«
Sie nahm einen Schluck von ihrem Eistee
und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Ich war dreißig Minuten älter. Mutter
war vierundvierzig, als wir zur Welt kamen, und niemand ahnte, dass sie
Zwillinge bekommen würde. Sie war nie vorher schwanger gewesen und dachte, es
seien die Wechseljahre, als ihre Periode ausblieb. Sie war bei den Christian
Scientists und weigerte sich bis zum letzten Moment, einen Arzt aufzusuchen.
Sie lag fünfzehn Stunden in den Wehen, bis sie Daddy endlich erlaubte, sie ins
nächste Krankenhaus zu bringen. Sie war kaum dort, als ich kam. Sie wollte
schon wieder vom Tisch hüpfen und nach Hause fahren. Sie dachte, es sei vorbei,
und der Arzt dachte es auch. Er erwartete nur noch die Nachgeburt, als Isabelle
dann auch noch kam.«
»Leben Ihre Eltern noch?«
Simone schüttelte den Kopf. »Sie sind
beide im Abstand von einem Monat gestorben. Wir waren damals neunzehn. Im
gleichen Jahr hat Isabelle zum ersten Mal geheiratet.«
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein, danke. Ihre Ehen mitzuerleben
war für mich fast so, wie selbst verheiratet zu sein.«
»Voigt war ihr zweiter Mann?«
»Richtig. Der erste starb bei einem
Bootsunfall.«
»Wie war das, Zwillingsschwestern zu
sein? Waren Sie sich ähnlich?«
»Hm-mmm, überhaupt nicht. Du liebe
Güte, verschiedener hätten wir gar nicht sein können. Isabelle hat das Talent
geerbt und alle damit verbundenen Untugenden. Künstlerisch war sie enorm
begabt, aber es fiel ihr alles so leicht, dass sie es überhaupt nicht ernst
nahm. Sobald sie etwas konnte, verlor sie das Interesse. Zeichnen, malen. Sie
hat von allem ein bisschen gemacht. Schmuck, Plastiken. Sie hat Textilien
entworfen und tolle Sachen gemacht, aber dann packte sie wieder die Unruhe. Sie
war nie zufrieden. Immer wollte sie etwas anderes machen. In gewisser Weise
haben die Mini-Häuser sie gerettet, obwohl sie vielleicht auch das gelangweilt hätte,
wenn sie am Leben geblieben wäre.«
»Nach dem, was Ken mir sagte, hatte sie
Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl.«
»Unter anderem. Sie hatte alle
möglichen Suchtneigungen. Sie rauchte. Sie trank. Sie nahm bei jeder
Gelegenheit irgendwelche
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