Dringernder Verdacht
hatte es in der Zeitung gelesen.
Aber der Zusammenhang war mir nicht klar, bis er uns gesagt hat, wer er war.
Mein Gott, grässliche Sache. Haben Sie davon gehört?«
»Deswegen bin ich hier. Der Mann schwört
nach wie vor, dass er’s nicht war.«
»Na ja, ich seh auch nicht, wie er’s
hätte tun sollen. Er war ja meilenweit weg.«
»Erinnern Sie sich noch an die genaue
Uhrzeit?«
»Ziemlich genau ein Uhr fünfundvierzig.
Vielleicht ein kleines bisschen früher, aber später auf keinen Fall, weil ich
noch auf die Uhr geguckt habe, als er wieder losgelaufen ist.«
»Fanden Sie es nicht merkwürdig, dass
jemand um halb zwei in der Nacht draußen herumjoggt?«
Ȇberhaupt nicht. Ich hatte ihn ja
schon in der Nacht zuvor die gleiche Strecke laufen sehen. Bei Nachteinsätzen
sieht man die seltsamsten Sachen.«
»Sie haben bei dem Mordprozess
ausgesagt?«
»Klar.«
»Und diesmal? Werden Sie wieder
aussagen?«
»Aber sicher. Man muss dem armen Kerl
doch helfen.«
Ich ging im Stillen noch einmal Barneys
Geschichte durch und versuchte, mich genau zu erinnern, was er gesagt hatte.
»Und die Polizei? Haben die Sie auch befragt?«
»Irgendein Beamter vom Morddezernat hat
mich angerufen, und ich habe ihm alles erzählt, was ich wusste. Er hat sich
bedankt, und das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe. Ich will Ihnen
was sagen — die konnten ihn nicht leiden. Für sie war er schon schuldig, ehe er
vor Gericht stand.«
»Vielen Dank. Das war sehr freundlich
von Ihnen. Sie haben mir sehr geholfen. Ich werde mich vielleicht wieder bei
Ihnen melden, falls ich noch Fragen habe.« Ich gab ihm meine Karte, für den
Fall, dass ihm noch etwas einfiel. Ich setzte mich in mein Auto und machte mir
erst mal Notizen, solange ich seine Aussage noch frisch im Gedächtnis hatte.
Ich dachte über Tippy nach, gründelte
in meinem Gedächtnis. Nach dem, was Rhe gesagt hatte, musste das die Zeit ihres
Jugendalkoholismus gewesen sein. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte Rhe sie
zu ihrem Vater geschickt, weil sie nicht mehr miteinander klargekommen waren.
Woher wollte Rhe dann wissen, ob Tippy in der fraglichen Nacht zu Hause gewesen
war oder nicht? Vielleicht sollte ich einfach Tippy fragen und basta. »Das
Nächstliegende tun« war schon immer eine meiner zentralen Arbeits-Maximen.
Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war
fünf nach halb sechs. Die Langusten-Bude lag draußen auf dem Pier — etwa zwei
Blocks von meiner Wohnung und nicht sehr weit von Bill Angelonis Haus. Ich fuhr
über die Rückseite des Capillo Hill heimwärts. Wenn Tippy in der betreffenden
Nacht wirklich unterwegs gewesen war, sah ich keinen Grund, weshalb sie es
sechs Jahre später nicht zugeben sollte. Vielleicht hatte sie nur nie jemand
danach gefragt. Welch ein aufmunternder Gedanke.
12
Ich parkte vor meinem Haus, ging hinein,
warf meine Aktenmappe zur Seite, griff meinen Anorak vom Haken hinter der Tür
und ging die zwei Blocks bis zum Kai zu Fuß. Die Sonne war noch nicht ganz
untergegangen, aber das Eicht war bereits grau. Die Tage waren jetzt von dieser
verlängerten Dämmerung gekennzeichnet, in der sich unter den Bäumen schon
Dunkel sammelte, während der Himmel noch immer die Farbe von blankem Aluminium
hatte. Wenn die Sonne dann schließlich unterging, färbten sich die Wolken lila
und blau, und das letzte Licht bohrte sich in roten Strahlen durch die
Düsternis. In Kalifornien bewegt sich die Temperatur in den Winternächten
gewöhnlich um zehn, zwölf Grad, und dasselbe gilt auch für viele Sommernächte,
was es einem gestattet, das ganze Jahr unter einer Steppdecke zu schlafen.
Zu meiner Rechten, etwa vierhundert
Meter weiter, umspannte der schlanke Arm der Mole das Hafenbecken, Segelschiffe
in seiner Beuge wiegend. Das Meer schlug gegen die Kaimauer, und wuchtige
Wellen sprühten Gischt über mich hinweg. Unter meinen Füßen schien sich der
Pier zu bewegen, als schöben ihn die Wellen vor sich her. Der Geruch von
Kreosot stieg wie Dunstschwaden aus den dunkelglänzend nassen, massigen
Holzpfeilern. Das Wasser stand hoch und hatte die Farbe von dunkelblauer Tinte,
das silberne Pfahlwerk war von der Nässe verfärbt. Autos fuhren über den Pier,
und das Rumpeln loser Bohlen summierte sich zu einem steten Vibrieren über die
gesamte Länge. Nebel wälzte sich herein und brachte dumpfigen Tanggeruch mit
sich. Dunkle Boote dümpelten gleich vorne im Arme-Leute-Hafen.
Auf dem Kai selbst strahlten die
Lichter grell und kalt
Weitere Kostenlose Bücher