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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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»Sie hat
nie etwas davon gesagt, weil sie nicht draußen war.«
    »Wunderbar. Mehr will ich ja gar nicht
wissen.«
    »Und selbst wenn, geht Sie das gar
nichts an.«
    Ich legte im Geist die Hand hinters
Ohr. »Was heißt, >selbst wenn    »Nichts. Nur so eine Redewendung.«
    »Würden Sie ihr sagen, sie möchte mich
bitte anrufen?«
    »Ich werde ihr nicht sagen, dass sie
Sie anrufen soll!«
    »Wie Sie wollen, Rhe. Entschuldigen Sie
die Störung.« Ich knallte den Hörer auf und spürte, wie mir die Hitze ins
Gesicht stieg. Was hatte diese Frau? Ich machte mir eine Notiz wegen einer
Vorladung für Tippy, falls das nicht schon passiert war. Ich hatte Barneys
Geschichte nicht sonderlich viel Glauben geschenkt, bis ich Rhes Reaktion
erlebte.
    Ich bat Ruth, mir die kompletten
Protokolle des Mordprozesses zu beschaffen. Dann lümmelte ich mich in meinen
Drehstuhl, die Füße auf dem Schreibtisch, die Hände vor dem Bauch gefaltet, um
über die ganze Entwicklung nachzudenken. Durch Morleys Schlampigkeit und seinen
plötzlichen Tod saßen wir ganz schön in der Klemme. Lonnies Hauptzeuge
entpuppte sich als windig, und jetzt sah es auch noch so aus, als hätte der
Angeklagte tatsächlich ein Alibi. Das würde Lonnie gar nicht gerne hören. Immer
noch besser, er erfuhr es jetzt als am ersten Verhandlungstag, wenn Herb Foss
seine Eröffnungsrede an die Geschworenen hielt, aber es würde ihm trotzdem
nicht gefallen. Er würde Freitagabend nach Hause kommen und ein schönes Wochenende
mit seiner Frau verbringen wollen. Er war seit achtzehn Monaten mit einer
Kewpo-Karatelehrerin verheiratet, die er erfolgreich in einem Verfahren wegen
schwerer Körperverletzung verteidigt hatte. Ich versuche immer noch dahinter zu
kommen, was Maria eigentlich getan hatte, aber bisher konnte ich nur aus ihm
herausholen, dass die strittige Handlung aus einem Vergewaltigungsversuch
resultierte und der Mann sich in der Folge aus dem aktiven Leben zurückziehen
musste. Ich zwang meine abschweifenden Gedanken zu der aktuellen Sachlage
zurück. Wenn Lonnie am Montagmorgen ins Büro spaziert kam, würde die Hölle
losbrechen. Und ein Teil des Ärgers würde zwangsläufig mich treffen.
    Ich ging noch einmal die Zeugenliste
durch, die Lonnie im Zuge der Offenlegung der Prozessunterlagen erhalten hatte.
Ein William Angeloni war dort aufgeführt, obgleich seine Aussage nicht
schriftlich niedergelegt worden war. Ich schrieb mir seine Adresse auf, sah im
Telefonbuch nach und notierte seine Nummer. Ich nahm den Telefonhörer ab und
legte ihn dann wieder auf. Besser, ich ging persönlich hin, dann konnte ich ihn
mir gleich anschauen. Vielleicht war er ja irgendein Windhund, den David Barney
angeheuert hatte, damit er für ihn log. Ich stopfte ein paar Papiere in meine
Aktenmappe und rannte wieder los.
     
    Die besagte Straße lag drüben auf der
Westseite, und das Haus war ein kleiner Steinbungalow, der gerade umfassenden
Umbaumaßnahmen unterzogen wurde. Teile des Dachs waren abgedeckt, die
Außenmauern auf der einen Seite herausgebrochen. Große, milchige Plastikfolien
über den Dachsparren schützten die noch intakten Räume. An der einen Außenwand
lagerten säuberlich gestapelt Holz und Hohlblocksteine. Ein großer,
dunkelblauer Container stand in der Einfahrt, voll mit Steinschutt und alten,
von rostigen Nägeln starrenden Dachlatten. Es schien, als hätten die Arbeiter
für heute schon Feierabend gemacht, aber im Hof stand noch ein Mann mit einer
Bierdose in der Hand. Ich parkte meinen Wagen auf der anderen Straßenseite,
stieg aus und ging hinüber an den Rand des ramponierten Rasens. »Ich suche Bill
Angeloni. Sind Sie das zufällig?«
    »Das bin ich«, sagte er. Er war Mitte
dreißig und extrem gut aussehend — dunkles, glattes Haar, etwas länger und zur
Seite gekämmt, dunkle Augen, ausgeprägte Nase, Grübchen und ein männliches
Kinn, dessen Bartwuchs beizukommen bestimmt sechs Bahnen mit dem Rasierapparat
erforderte. Er trug Jeans, dreckverkrustete Arbeitsstiefel und ein blaues
Jeanshemd mit aufgerollten Ärmeln. Die Haare auf seinen Unterarmen waren dunkel
und seidig. Er roch nach feuchter Erde und Metall. Er sah aus wie der
Hauptdarsteller in einem Film über die tragische Liebe zwischen einer
Millionenerbin und einem Wildhüter. Ich mahnte mich, dass es wahrscheinlich
ungebührlich wäre, mich an seine Brust zu werfen und meine Nase dortselbst zu
vergraben.
    »Kinsey Millhone«, stellte ich mich
vor. Wir schüttelten uns kurz die Hand, und

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