Dringernder Verdacht
woanders hin? Mein Auto steht dort
drüben. Sollen wir im Wagen reden?«
»Wir können ja mal in die Richtung
gehen. Ich habe wirklich nur ein paar kurze Fragen.«
»Sie wollen wissen, wo ich in der Nacht
war, als Tante Isabelle ermordet wurde, stimmt’s?«
»Stimmt.« Es wurmte mich, dass Rhe Zeit
gehabt hatte, sie vorzuwarnen, aber was hätte ich machen sollen? Selbst wenn
ich direkt hergekommen wäre, hätte Rhe Zeit genug gehabt für einen Anruf. Jetzt
hatte Tippy die Möglichkeit gehabt, sich eine schlaue Geschichte auszudenken...
falls sie das nötig hatte.
»O Mann, ich habe versucht, mich zu
erinnern. Ich denke, ich war bei meinem Dad.«
Ich starrte sie einen Moment an. »Sie
wissen es nicht mehr?«
»So konkret nicht. Ich war damals noch
auf der High School. Da hatte ich sicher eine Menge Hausaufgaben zu machen oder
so was.«
»Hatten Sie nicht Ferien? Das war doch
der Tag nach Weihnachten. Die meisten Schüler haben in der Woche zwischen
Weihnachten und Neujahr frei.«
Sie runzelte leicht die Stirn. »Kann
sein. Wenn Sie’s sagen. Ich weiß es wirklich nicht mehr.«
»Haben Sie eine ungefähre Vorstellung,
wann Ihre Mutter anrief, um Ihnen die Sache mit Isabelle mitzuteilen?«
»Hm, vielleicht eine Stunde später. So
etwa eine Stunde, nachdem es passiert war. Ich weiß, dass sie von Tante
Isabelle aus angerufen hat, aber da war sie wohl schon eine Weile bei Simone.«
»Könnte es sein, dass Sie so um eins,
halb zwei noch unterwegs waren?«
»Um halb zwei nachts? Sie meinen, ob
ich noch aus war?«
»Ja, vielleicht mit einem jungen Mann,
oder auch einfach nur so, mit Freunden.«
»Mm-mm. Mein Dad wollte nicht, dass ich
so lange wegblieb.«
»War er in dieser Nacht zu Hause?«
»Bestimmt. Wahrscheinlich«, sagte sie.
»Wissen Sie noch, was Ihre Mutter
sagte, als sie anrief?«
Sie dachte kurz nach. »Nein, ich glaube
nicht. Ich meine, ich weiß noch, dass sie mich geweckt hat und dass sie geweint
hat und so.«
»Hat Ihr Vater einen Lieferwagen?«
»Nur in der Firma«, sagte sie. »Er hat
einen Malerbetrieb und transportiert seine Ausrüstung in einem Lieferwagen.«
»Hatte er damals schon denselben
Lieferwagen?«
»Den hat er, solange ich zurückdenken
kann. Jetzt braucht er allerdings einen neuen.«
»Ist der, den er hat, weiß?«
Das ließ sie kurz stutzen. Womöglich
eine Fangfrage? »Ja«, sagte sie zögernd. »Wieso?«
»Die Sache ist die«, sagte ich. »Ich
habe mit jemandem gesprochen, der sagt, er hätte Sie in der fraglichen Nacht
draußen herumfahren sehen, mit einem weißen Lieferwagen.«
»Also, das ist ein Ding. Ich war nicht
weg«, sagte sie mit einem Hauch von Empörung.
»Und Ihr Vater? Vielleicht hat er den
Lieferwagen benutzt?«
»Das glaube ich nicht.«
»Wie heißt er? Ich kann ihn ja fragen.
Vielleicht fällt ihm etwas ein.«
»Bitte, nur zu. Meinetwegen. Er heißt
Chris White. Er wohnt am West Glen, von meiner Mutter aus gleich um die Kurve.«
»Danke. Das hilft mir sehr.«
Das schien sie zu beunruhigen. »Ach,
ja?«
Ich zuckte die Achseln und sagte: »Ja,
sicher. Wenn Ihr Vater bestätigen kann, dass Sie zu Hause waren, ist diese
andere Sache wohl nur eine Verwechslung.« Ich ließ gerade eben eine Spur von
Skepsis in meiner Stimme schwingen, ein kleines Zweifelsvögelchen, das weit weg
im Wald zwitscherte. Es verfehlte seine Wirkung nicht.
»Wer war das, der gesagt hat, er hätte
mich gesehen?«
»Darüber würde ich mir keine Gedanken
machen.« Ich sah auf die Uhr. »Ich lasse Sie jetzt besser gehen.«
»Soll ich Sie heimfahren oder so? Das
macht mir nichts aus.« Ganz das hilfsbereite kleine Mädchen.
»Ich bin gleich zu Hause, danke. Ich
melde mich später noch einmal.«
»Nacht«, sagte sie. Ihr
Abschiedslächeln schien aufgesetzt, einer dieser Strahleversuche, den
widersprechende Emotionen sabotieren. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie ihren
Stirnrunzel-Falten mit dreißig nur noch mit einer Schönheitsoperation beikommen
können. Ich sah ihr nach, und sie bedachte mich mit einem halbherzigen Winken,
das ich genauso halbherzig erwiderte. Ich marschierte über den Pier zurück und
dachte aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen: »Schisshase, Lügennase.«
Mein Abendessen bestand aus
Knusper-Flakes und Magermilch. Ich aß an der Spüle stehend, das Schüsselchen in
der Hand, und starrte aus dem Fenster. Ich tilgte alles aus meinem Denken,
zerrubbelte die Ereignisse des Tages zu einem Wölkchen Staub. Die Sache mit
Tippy ließ mich immer
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