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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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vor dem tiefen Dunkel des Meeres. Das
Yacht-Club-Restaurant war hell erleuchtet, die Luft ringsum erfüllt vom
appetitlichen Duft nach Fisch und Steaks, frisch vom Holzkohlengrill. Einer der
Parkwächter spurtete gerade zum anderen Ende des kleinen Parkplatzes, um einen
Wagen vorzufahren. Möwen hockten auf dem Spitzdach des Anglerkiosks, dessen
Schindelschrägen von einem schneeweißen Rand aus angesammeltem Vogeldreck
gesäumt war. Die Angler waren am Zusammenpacken und klapperten mit ihren
Angelkästen, während ein Pelikan perläugig um sie herumwatschelte und immer
noch hoffte, dass ein Happen für ihn abfiel.
    Zur Stadtseite hin waren die dunklen
Hügel mit Lichtpunkten übersät. Der Freeway 101 verlief parallel zum Strand,
der auf diesem Stück einen überraschenden Knick in Ost-West-Richtung macht.
Hinter den vier Spuren des Freeway staffelten sich die ein- und zweistöckigen
Häuser des Geschäftsviertels entlang der State Street, je weiter weg, desto
kleiner, wie ein Musterbeispiel für perspektivisches Zeichnen. Die Palmen hoben
sich dunkel vor dem künstlichen Licht ab, das jetzt nach und nach das Zentrum
in einen fahlgelben Schein tauchte.
    Die Sonne war inzwischen verschwunden,
aber der Himmel war immer noch nicht ganz dunkel, sondern hatte eher das
aschige Anthrazit von verkohltem Holz. Ich war jetzt bei der braun gestrichenen
Bretterbude angelangt, die den Langustenimbiss beherbergt. Acht Holzklapptische
und -bänke waren davor auf dem Pier verankert. Die drei Arbeitskräfte, die den
Laden schmissen, waren jung, alle um die zwanzig, in Jeans und einheitlichen
dunkelblauen T-Shirts, auf denen ein Krebs prangte. Die Front der Bude säumten
Seewasser-Aquarien mit lebenden Krebsen und Langusten, die dicht gestapelt
aufeinander hockten wie mürrische Meeresspinnen. Außerdem war da eine
Schauvitrine mit zerstoßenem Eis und zu grauen, rosa und weißen Reihen
drapierten Fischsteaks. Dahinter zog sich der Tresen entlang. Durch eine offene
Tür im Hintergrund konnte ich sehen, wie gerade ein riesiger Fisch ausgenommen
wurde.
    Es war gleich Feierabend, und die drei
waren schon am Aufräumen und Putzen. Ich beobachtete Tippy fast eine Minute
lang, ehe sie mich bemerkte. Ihre Bewegungen waren energisch, ihr ganzes
Auftreten effizient und kompetent. Sie wartete darauf, dass ein Mann vor der
Schauvitrine seine Wahl traf. »Letzte Bestellung für heute. Wir müssen in fünf
Minuten schließen.«
    »Oh, klar. Tut mir Leid. Ist mir ganz
entgangen, dass es schon so spät ist.« Er trat rasch an das Wasserbassin und
zeigte auf das unglückliche Objekt seiner Begierde. Sie steckte den
Bestellblock in ihre Tasche und tauchte den Arm in das trübe Wasser. Sie packte
die Languste flink von oben, hielt sie ihm zur Inspektion hin, klatschte sie
dann auf die Arbeitsplatte, griff sich ein Schlachtermesser und setzte die
Spitze unter dem Panzer an, dort, wo der Schwanz aus dem pieksigen Körper
austritt. Ich sah zwar noch rechtzeitig weg, hörte aber das dumpfe Geräusch,
als sie auf den Messerschaft schlug und dem Tier sauber die Wirbelsäule
durchtrennte. Was für eine Art, sich sein Brot zu verdienen. So viel Tod für
einen Hungerlohn. Sie steckte die Languste in den Dampferhitzer, schlug die Tür
zu und stellte die Uhr. Dann wandte sie sich mir zu, ohne zu registrieren, wen
sie vor sich hatte.
    »Bitte?«
    »Hi, Tippy. Kinsey Millhone. Wie
geht’s?«
    Ich sah den verspäteten Funken des
Erkennens in ihren Augen. »Oh, hi. Meine Mom hat gerade angerufen und gesagt,
Sie würden vorbeikommen.« Sie wandte den Kopf. »Corey? Kann ich jetzt gehen?
Ich mache morgen die Kasse, wenn du’s heute machen kannst.«
    »Kein Problem.«
    Sie wandte sich dem Mann zu, der auf
seine Languste wartete. »Möchten Sie was trinken?«
    »Haben Sie Eistee in Dosen?«
    Sie nahm die Dose aus der Kühlbox, gab
Eis in einen Pappbecher und fischte ein kleines Schälchen Krautsalat aus der
Vitrine. Sie schrieb die Gesamtsumme von Hand unten auf den Kassenbon und riss
diesen mit einer schwungvollen Bewegung ab. Er reichte ihr einen Zehner, und
sie gab ihm mit der gleichen Effizienz das Wechselgeld heraus. Die Uhr am
Kocher begann zu piepen. Sie griff mit einem Küchenhandschuh hinein und
klatschte die dampfende Languste auf einen Pappteller. Der Typ hatte kaum sein
Essen entgegengenommen, als sie schon die Schürze abband und durch die
zweiteilige Tür an der Seite heraustrat.
    »Wir können uns an einen von den
Tischen setzen, oder wollen Sie lieber

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