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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Dachraum war ganz dunkel, aber von der
Lichtglocke über der Stadt schimmerte das Oberlicht hell. Die Botschaft hatte
mit Tippys Auftauchen an dieser Straßenkreuzung zu tun. Ich hatte über diesen
Punkt nachgegrübelt, seit David Barney davon gesprochen hatte. Wenn er sich die
ganze Geschichte nur ausdachte, wieso garnierte er sie dann mit ihrem Namen?
Sie hätte doch eine Erklärung haben können, wo sie in der betreffenden Nacht
gewesen war. Wenn er log, wieso sollte er dann dieses Risiko eingehen? Die
Leute vom Reparaturtrupp hatten sie auch gesehen... na ja, nicht sie, aber den
Lieferwagen. Wo sonst war mir das Wort Lieferwagen noch begegnet?
    Ich setzte mich auf, schlug die Decke
zurück und knipste das Licht an, das mich zuerst geblendet zusammenzucken ließ.
In Ermangelung eines Morgenrocks zog ich meinen Trainingsanzug über. Ich tappte
barfuß die Treppe hinunter, schaltete die Tischlampe an, suchte meine
Aktenmappe und sah den Stapel Ordner durch, den ich aus dem Büro mitgebracht
hatte. Ich fand die Faltmappe, die ich suchte, trug sie zum Sofa, setzte mich,
schlug die Beine unter und ging die Kopien der alten Nummern der Santa
Teresa Dispatch durch. Zum dritten Mal in zwei Tagen überflog ich Spalte um
Spalte verwischter Druckzeilen. Fünfundzwanzigster Dezember — nichts. Ah! Auf
der ersten Seite des Lokalteils vom sechsundzwanzigsten stand die kurze
Meldung, die ich schon gesehen hatte, über den Unfall mit Fahrerflucht, der
einen alten Mann das Leben gekostet hatte, der aus einem Pflegeheim in der Nähe
weggelaufen war. Ein Lieferwagen hatte ihn auf der oberen State Street
angefahren, und er war noch am Unfallort gestorben. Der Name des Opfers wurde
nicht genannt, da die Benachrichtigung der Angehörigen noch nicht erfolgt war.
Leider hatte ich von den Ausgaben der nächsten Woche keine Kopien gemacht, so
dass ich die Sache nicht weiterverfolgen konnte.
    Ich nahm mir das Telefonbuch vor und
sah in den gelben Seiten unter der Rubrik Altenpflege-Einrichtungen nach. Die
Unterrubriken waren Wohnheime, Kliniken, Pflegeheime, Altersheime und
Sanatorien und enthielten hauptsächlich Verweise auf die jeweils anderen
Kategorien. Schließlich fand ich unter Pflegeheime eine umfassende Liste. In
der Nähe des Unfallorts gab es nur eine solche Einrichtung. Ich notierte mir
die Adresse, drehte dann das Licht wieder aus und ging zurück in mein Bett.
Wenn sich herausstellte, dass zwischen diesem Lieferwagen und dem, der Tippys
Vater gehörte, ein Zusammenhang bestand, dann war es schon sehr viel
erklärlicher, weshalb das Mädchen nicht zugeben wollte, dass es unterwegs
gewesen war. Und es würde dafür sprechen, dass David Barney in allem die
Wahrheit sagte.
    Am Morgen fuhr ich, nachdem ich wie
üblich meine fünf Kilometer gelaufen war, gefrühstückt und geduscht hatte,
hinaus nach South Rockingham, wo der alte Mann angefahren worden war. Noch um
die Jahrhundertwende war South Rockingham nichts als Farmland gewesen, flache
Felder mit Bohnen und Walnüssen, wo zur Erntezeit Trupps von Wanderarbeitern
mit dampfgetriebenen Maschinen, Küchenbaracken und Wagen voller Schlafzeug
angerückt waren. Auf einem alten Foto sieht man etwa dreißig Arbeiter,
aufgereiht vor ihren sperrigen, ratternden Maschinen. Die meisten haben
Schnurrbärte und finstere Gesichter und tragen bunte Halstücher, langärmlige
Hemden, Latzhosen und Filzhüte. Unerschütterlich stehen sie da, auf ihre
Heugabeln gelehnt, während eine staubverhangene Mittagssonne auf sie
herunterbrennt. Das Land sieht auf solchen Bildern immer platt und
erbarmungslos aus. Es gibt nur wenige Bäume, und das Gras, so weit überhaupt
vorhanden, ist karg und stoppelig. Spätere Luftaufnahmen zeigen Straßen, die
strahlenförmig von einem runden Hügel abgehen wie die Speichen eines Wagenrads.
Um die Siedlung herum fügen sich die rechteckigen Parzellen mit jungen
Zitrusbäumen zu einer Patchwork-Decke. Heute ist South Rockingham ein
Mittelschichts-Wohnviertel aus bescheidenen Einfamilienhäusern, die zur Hälfte
aus der Zeit vor 1940 stammen. Der Rest wurde während eines Mini-Booms in der
Dekade zwischen 1955 und 1965 errichtet. Jedes Fleckchen Erde ist dicht
bewachsen, jedes verfügbare Plätzchen bebaut. Dennoch gilt es als
erstrebenswert, hier zu wohnen, weil dieser Ortsteil ruhig, attraktiv und
gepflegt ist und über alle nötigen Einrichtungen verfügt.
    Ich fand das Pflegeheim: ein
einstöckiger Steinbau, auf drei Seiten von Parkflächen umrahmt. Von

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