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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Fertig-Gitterstores, die die Frühnachmittagssonne
aussperrten. Ein blinkendes Neonschild am Eingang besagte abwechselnd Trimmer
frei und belegt.
    Die Frau hinter dem Anmeldetresen war
groß — nicht Riesenaber doch Superformat. Sie hatte eine große, wohl geformte
Nase, einen breiten, rosa bemalten Mund und weißblondes Haar, das zu einem hoch
auf dem Oberkopf angesetzten, tauartigen Zopf gezwirbelt war. Sie trug eine
zartfliederfarbene, schräge Brille, deren Gläser im unteren Teil leicht mit
pfirsichfarbenem Make-up verschmiert waren. Ihre Straßenkleidung wurde von
einem pinkfarbenen Nylonkittel von der Sorte verdeckt, wie sie Kosmetikerinnen
tragen.
    Ich nahm eine meiner Karten heraus und
legte sie auf den Tresen. »Vielleicht können Sie mir helfen. Ich suche Regina
Turner.«
    »Ich werd’s versuchen. Ich bin Regina
Turner. Guten Tag«, sagte sie. Wir gaben uns die Hand. Unser Gespräch wurde
erst mal unterbrochen, weil das Telefon klingelte. Sie hielt einen Finger als
eine Art Digitalanzeiger in die Höhe, während sie irgendwelche Reservierungen
entgegennahm. »Entschuldigen Sie«, sagte sie zu mir, als sie wieder aufgelegt
hatte. Sie sah flüchtig auf meine Karte und fixierte dann scharf mein Gesicht.
»Ich beantworte keine Fragen über Gäste.«
    »Es geht um etwas anderes«, sagte ich.
Als ich meine Erklärung zur Hälfte abgespult hatte, merkte ich, dass sie nicht
mehr zuhörte. Offensichtlich hatte sie unser Gespräch innerlich bereits
abgehakt. »Sie können mir wohl nicht weiterhelfen«, sagte ich.
    »Ich würde es gern«, antwortete sie.
»Die Polizei hat mich befragt, gleich nachdem der alte Mann überfahren wurde.
Ich war völlig fertig, aber ich habe ihnen alles gesagt, was ich wusste.«
    »Hatten Sie in der betreffenden Nacht
Dienst?«
    »Ich bin fast immer nachts hier. Man
kriegt ja heutzutage keine guten Leute mehr, schon gar nicht während der
Feiertage. Ich war hier in der Anmeldung, als es passierte. Ich hörte das
Quietschen... ein grässliches Geräusch. Und dann einen dumpfen Schlag. Dieser
Lieferwagen muss mit sechzig Meilen um die Kurve da hinten gedonnert sein. Hat
den Alten auf dem Überweg erwischt und regelrecht durch die Luft geschleudert.
Sah aus, wie wenn jemand von einem Stier auf die Hörner genommen wird. Sie
kennen das doch sicher aus Filmen, oder? Er schlug so hart auf, dass ich es
hören konnte. Ich habe aus dem vorderen Fenster geschaut und gesehen, wie der
Lieferwagen davongerast ist. Ich habe die Kreuzung genau im Blick. Sie sehen ja
selbst. Ich habe die Notrufzentrale angerufen und bin rausgelaufen, um zu
sehen, ob ich was tun konnte. Aber als ich ankam, war der arme Mann schon tot
und der Lieferwagen verschwunden.«
    »Wissen Sie noch die genaue Zeit?«
    »Elf Minuten nach eins. Ich hatte
damals schon diese kleine Digitaluhr hier auf dem Tresen stehen, und ich
erinnere mich, dass sie eins-eins-eins gezeigt hat, weil das nämlich mein
Geburtsdatum ist. Der elfte Januar. Ich weiß nicht, wieso, aber so etwas bleibt
einem jahrelang im Gedächtnis.«
    »Sie haben nicht gesehen, wer den Wagen
fuhr?«
    »Nein, davon habe ich nichts
mitgekriegt. Ich habe nur den Lieferwagen gesehen. Er war weiß, mit so einem
dunkelblauen Firmenzeichen auf der einen Seite.«
    »Was für ein Zeichen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich
nicht sagen.«
    »Das ist schon sehr viel. Jede
Kleinigkeit hilft uns weiter«, sagte ich. Es gab wohl nur schlaffe sechstausend
weiße Lieferwagen in Kalifornien. Das Unfallfahrzeug war möglicherweise
verschrottet, umgespritzt, verkauft oder über die Staatsgrenze geschafft
worden. »Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    »Wollen Sie ihre Karte wiederhaben?«,
fragte sie.
    »Behalten Sie sie. Ich hoffe, Sie
melden sich, falls Ihnen noch etwas einfällt.«
    »Ganz bestimmt.«
    An der Tür blieb ich noch einmal
stehen. »Meinen Sie, Sie könnten den Wagen identifizieren, wenn ich Ihnen ein
paar Fotos zeige?«
    »Ich glaube schon. Ich kann ihn zwar
nicht beschreiben, aber ich denke, ich würde ihn wieder erkennen, wenn ich ihn
sähe.«
    »Prima. Ich komme noch mal wieder.«
    Ich ging zu meinem Auto zurück. Mir war
klar, dass ich diesen kleinen Hoffnungsschub erst einmal dämpfen musste. Es war
alles nur Spekulation. Ich bin nicht blöd. Ich wusste wohl, wie groß die
Wahrscheinlichkeit war, dass der weiße Lieferwagen, der McKell angefahren
hatte, derselbe war, der eine halbe Stunde später und dreizehn Kilometer weiter
um ein Haar David Barney erwischt

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