Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
wirklich sehr verändert. Er ist
so finster und verschlossen. Sie haben ihn doch getroffen, oder? Wie war denn
Ihr Eindruck?«
    Ich zuckte unverbindlich die Achseln.
»Er kam mir ganz okay vor«, sagte ich. Ich hatte den Mann erst einmal gesehen,
und wenn ich ihn auch nicht gerade anziehend gefunden hatte, hütete ich mich
doch generell davor, mit Leuten über ihre Ehepartner herzuziehen. Wer weiß denn
schon, ob sich die beiden nicht noch am selben Abend wieder versöhnen und
alles, was ich gesagt hatte, brühwarm weiterberichtet wird? Ich wechselte das
Thema. »Apropos Eindruck — wie hat denn Isabelle auf Sie gewirkt? Ich nehme an,
das wird auch Gegenstand Ihrer Aussage sein.«
    Francesca verzog das Gesicht und schob
die Antwort auf, bis sie unsere Weingläser aufgefüllt hatte. »Das und die
berühmte Geschichte mit der verschwundenen Pistole. Da waren wir ja alle dabei.
Also, Isabelle — sie war in gewisser Weise ein bisschen wie Kenneth — viel
Charisma an der Oberfläche, aber nichts dahinter. Sie hatte Talent, aber als
Mensch hatte sie wenig Herz.«
    »Sie und Kenneth haben zusammengefunden,
nachdem sie sich mit David Barney eingelassen hatte?«
    »Richtig. Wir lernten uns bei einem
Wohltätigkeits-Fest im Canyon Country Club kennen. Ich war mit einer Freundin
dort, und irgendjemand hat uns miteinander bekannt gemacht. Isabelle hatte ihn
gerade verlassen, und er war wie ein geprügelter kleiner Hund. Sie wissen ja,
wie das ist. Es gibt nichts Unwiderstehlicheres als einen hilfsbedürftigen
Mann. Ich war hingerissen. Ich stellte ihm nach. Ich dachte, ich müsste
sterben, wenn ich ihn nicht bekäme. Man hat mich gewarnt, aber ich wollte nicht
hören. Die ganzen sechs Monate, die seine Scheidung dauerte, habe ich ihn
umsorgt und getröstet und gehätschelt und umgurrt.«
    »Und das hat funktioniert?«
    »Oh, ich habe bekommen, was ich wollte.
Ich hatte nur nicht viel davon. Wir haben geheiratet, sobald er frei war, aber
sein Herz war nicht dabei. Er hing immer noch an ihr, was mich natürlich lange
Zeit erst recht an ihn gebunden hat. Ich wusste, er liebte mich nicht, wie
hätte ich ihm da widerstehen können? Ich musste schwänzeln und tänzeln. Ich
musste ihm um jeden Preis gefallen. Aber es hat natürlich alles nichts genützt.
Ich meine, im Grunde fliegt er auf Frauen, die ihn genauso zurückweisen wie er
mich. Ist das nicht tragisch? Er wird sich wahrscheinlich bis über beide Ohren
in mich verlieben, sobald ich die Scheidung einreiche.«
    »Was war der Grund für Ihre veränderte
Einstellung? Der Krebs?«
    »Das war ein Grund. Der Prozess hat
auch das Seine dazugetan. An einem bestimmten Punkt ist mir aufgegangen, dass
das einfach seine Art war, weiter an Isabelle festzuhalten. So kann er immer
noch um sie kreisen. Er kann ihretwegen leiden. Und wenn er sie nicht mehr
haben kann, will er wenigstens ihr Geld. Darum geht es doch.«
    »Und was ist mit der Tochter, Shelby?
Welche Rolle spielt sie bei der ganzen Sache?«
    »Sie ist ein nettes Kind. Er sieht sie
kaum. Sie ist kaum je zu Hause. Ab und zu — so alle zwei, drei Monate — fährt
er sie im Internat besuchen. Dann führt er sie einen Tag lang aus, zum Essen,
ins Kino, und das ist es auch schon.«
    »Ich dachte, der Prozess fände
ihretwegen statt, um sicherzustellen, dass für sie gesorgt ist.«
    »Das sagt er, aber es ist einfach
lächerlich. Er ist hoch versichert. Wenn ihm etwas passieren würde, bekäme
Shelby eine Million Dollar. Was braucht sie denn noch mehr? Er will einfach
nicht loslassen, deswegen der Prozess. Herrje, klingt das gemein?«
    »Gar nicht. Ich weiß Ihre Offenheit zu
schätzen. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht gedacht, dass Sie mir viel erzählen
würden.«
    »Ich erzähle Ihnen alles, was Sie
wissen möchten. Ich nehme auf diese Menschen keine Rücksicht mehr. Früher
dachte ich, ich müsse zu ihnen halten. Es gab Zeiten, da hätte ich kein Wort
gesagt. Ich hätte Schuldgefühle gehabt und mich als Verräterin gefühlt.
Inzwischen macht mir das nichts mehr aus. Ich sehe sie jetzt so deutlich — wie
wenn man kurzsichtig ist und plötzlich Kontaktlinsen kriegt. Es ist auf einmal
alles so verblüffend klar.«
    »Zum Beispiel?«
    »Was ich eben gesagt habe... Kenneth
und seine Besessenheit. Das Schlimmste nach der Trennung war für ihn, sich der
Tatsache zu stellen, dass Isabelle hemmungslos narzisstisch war. Jetzt, wo sie
tot ist, kann er sich wieder an den Glauben klammern, sie sei einfach
vollkommen gewesen.«
    »Isabelle

Weitere Kostenlose Bücher