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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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doch. Sie hatten sechs Jahre
lang Zeit, um darüber nachzudenken, und bisher haben Sie das einzig Richtige
nicht getan. Ich will Ihnen etwas sagen: Es wird einen viel besseren Eindruck
machen, wenn Sie von sich aus zur Polizei gehen. Ich weiß, dass Sie das alles
nicht wollten. Ich glaube Ihnen gern, dass Sie panische Angst hatten, aber die
Wahrheit bleibt nun mal die Wahrheit. Ich will Ihnen Bedenkzeit lassen, aber am
Freitag werde ich zur Polizei gehen. Wenn Sie klug sind, sehen Sie zu, dass Sie
Ihren Hintern hochkriegen und vor mir dort sind.«
    Ich stand auf und nahm meine große
Ledertasche über die Schulter. Sie machte keine Anstalten, mir zu folgen. An
der Haustür drehte ich mich noch einmal zu ihr um. »Noch eins, dann lasse ich
Sie mit Ihrem Gewissen allein. Haben Sie in der bewussten Nacht David Barney
gesehen?«
    Sie seufzte. »Ja.«
    »Würden Sie das etwas genauer
ausführen?«
    »Ich bin fast in ihn reingefahren, als
ich vom Freeway kam. Ich hörte einen leichten Schlag, und als ich aus dem
Seitenfenster sah, starrte er mir genau ins Gesicht.«
    »Sie sind sich ja wohl darüber im
Klaren, dass Sie ihn schon vor Jahren gründlich hätten entlasten können, wenn
Sie das zugegeben hätten.« Ich wartete ihre Reaktion nicht ab. Sie fing jetzt
an, die Gequälte herauszukehren, und damit wollte ich nichts zu schaffen haben.
     
     
     

15
     
    Nachdem ich Tippy verlassen hatte, fuhr
ich kurz zu mir, auf ein schnelles Mittagessen, das ich eher lustlos
verdrückte. Es war herzlich wenig im Kühlschrank, und ich sah mich gezwungen,
eine Dose Spargelsuppe aufzumachen, die ich ursprünglich wohl gekauft hatte, um
sie über irgendetwas anderes zu kippen. Ich habe mir sagen lassen, dass alle
Küchennovizen mit diesem alten Trick operieren. Selleriecremesuppe auf
Schweinekoteletts, eine Stunde bei 180 Grad überbacken. Champignoncremesuppe
auf Hackbraten, gleiche Zeit, gleiche Temperatur. Hühnercremesuppe auf
Hühnerbrust, eine halbe Tasse Reis zugeben. Die Variationen sind
unerschöpflich, und das Beste ist: wenn man einmal Gäste hat, sieht man sie nie
wieder. Außer den oben genannten Gerichten bin ich noch im Stande, Rührei und
einen ganz passablen Tunfischsalat zuzubereiten, aber das ist auch schon so
ziemlich alles. Ich esse haufenweise Sandwiches, Erdnussbutter mit Gürkchen
oder Käse mit Gürkchen, um nur zwei Sorten zu nennen. Gerne mag ich auch in
Scheiben geschnittene harte Eier auf Vollweizenbrot mit viel Salz und
Mayonnaise. Wenn man mich fragt, ist das Einzige, was für das Kochen spricht,
dass man seine Hände beschäftigen kann, während man über andere Dinge
nachdenkt.
    Die Sache mit Morleys Tod ließ mich
nicht los. Und wenn David Barneys Paranoia berechtigt war? Alles Übrige, was er
gesagt hatte, stimmte ja. Wenn Morley nun tatsächlich der Wahrheit zu dicht auf
der Spur gewesen und deswegen ausgeschaltet worden war? Ich schwankte zwischen
dem Impuls, das Ganze als viel zu weit hergeholt zu verwerfen, und dem
beunruhigenden Gedanken, dass sich womöglich irgendwo ein raffinierter Mörder
ins Fäustchen lachte. Ich dachte beide Gedanken abwechselnd weiter, explorierte
ihre Möglichkeiten. Vielleicht hatte das Gespräch mit David Barney Morleys
Neugier geweckt. Vielleicht war er ja zufällig über irgendetwas Wichtiges
gestolpert. War er zum Schweigen gebracht worden? Ich merkte, wie ich vor
diesem Gedanken zurückscheute. Das war so verdammt melodramatisch. Morley war
einem Herzinfarkt erlegen. Der Totenschein war von seinem Hausarzt ausgestellt.
Zweifellos gab es Substanzen, die die Symptomatik eines Herzstillstands
hervorrufen konnten, aber es war kaum vorstellbar, wie ihm jemand ein solches
Mittel verabreicht haben sollte. Morley war nicht dumm gewesen. Bei seinen
Gesundheitsproblemen hätte er sicher nie irgendetwas eingenommen, was ihm nicht
sein Arzt verschrieben hatte. Es kam ja wohl nur Gift in Frage, aber meines
Wissens hatte niemand diese Möglichkeit auch nur in Betracht gezogen. Wer war
ich, mich einfach einzumischen und seiner kranken Witwe noch mehr Kummer zu
bereiten? Sie hatte auch so schon Probleme genug, und alles, was ich
vorzubringen hatte, waren vage Vermutungen.
    Ich aß meine Suppe auf, wusch das
Schüsselchen ab und deponierte es zusammen mit dem einsamen Löffel auf dem Abtropf-Gestell.
Wenn ich diesen Zyklus von Flocken und Suppe beibehielt, konnte ich mich eine
ganze Woche lang ernähren, ohne mehr Abwasch zu produzieren. Ich wanderte
ziellos in meiner Wohnung auf

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