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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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wie er darauf gekommen ist. Die Beschreibung hatte er aus
dem Polizeiprotokoll.«
    Ich dachte über den zeitlichen Ablauf
nach. Offenbar hatte sich das alles aus seinem Gespräch mit David Barney
ergeben. »Was war am Samstag?«
    »Sie meinen, bezüglich seiner Arbeit?«
    »Ich meine, überhaupt.« Ich sah von
Louise zu Dorothy, um sie beide zu ermuntern, meine Frage zu beantworten.
    Dorothy reagierte. »Nichts Besonderes.
Er fuhr ins Büro und erledigte dort ein paar Sachen. Post und dergleichen, wie
es klang.«
    »Hatte er einen Termin?«
    »Wenn er sich mit jemandem getroffen
hat, hat er nichts davon gesagt. Er kam gegen Mittag zurück und hat kaum etwas
gegessen. Er hat seine Mahlzeiten gewöhnlich bei mir im Zimmer eingenommen,
damit wir in der Zeit zusammen sein konnten. Ich habe ihn gefragt, ob ihm nicht
gut sei. Er sagte, er habe Kopfschmerzen und sei wohl dabei, irgendetwas
auszubrüten. Ich dachte, da wird Louise sich freuen — zwei Kranke auf einmal.
Ich habe ihm gesagt, er solle sich hinlegen. Ich konnte es kaum fassen, aber er
hat es tatsächlich getan. Dann stellte sich heraus, dass er diese schreckliche
Magen-Darm-Grippe hatte, die überall umging. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall,
Magenkrämpfe.«
    »Könnte es auch daher gekommen sein,
dass er etwas Schlechtes gegessen hatte?«
    »Das kann ich mir kaum vorstellen. Zum
Frühstück hatte er nur Flocken mit Magermilch.«
    »So etwas hat Morley gegessen? Sieht
ihm gar nicht ähnlich«, sagte ich.
    Dorothy lachte. »Sein Arzt hatte ihn — auf
mein beharrliches Drängen hin — auf Diät gesetzt. Fünfzehnhundert Kalorien am
Tag. Zum Mittagessen am Samstag hat er nur ein bisschen Suppe und ein paar
Happen trockenen Toast gegessen. Er meinte, ihm sei ein bisschen schlecht und
er habe keinen großen Appetit. Am Nachmittag war ihm dann hundeelend. Er hat
die halbe Nacht mit dem Kopf über der Kloschüssel gehangen. Wir haben noch
gewitzelt, dass wir uns wohl abwechseln müssten, falls es mir schlechter gehen
sollte. Am Sonntagmorgen fühlte er sich besser, obwohl er gar nicht gut aussah.
Seine Gesichtsfarbe war erschreckend, aber das Erbrechen hatte aufgehört, und
er konnte immerhin schon ein bisschen Ginger Ale bei sich behalten.«
    »Erzählen Sie mir von dem Mittagessen
am Sonntag. Hatten Sie es selbst gekocht?«
    »Ach Gott, nein, ich koche nie. Ich
habe schon seit Monaten nicht mehr gekocht. Kannst du dich noch erinnern,
Loosie?«
    »Ich habe uns eine kalte Platte
gemacht, gedünstete Hühnerbrust mit Salat«, sagte sie. Aus der Küche kam das
durchdringende Pfeifen des Wasserkessels. Sie entschuldigte sich und eilte
hinaus, während Dorothy den Faden übernahm.
    »Mir ging es inzwischen besser. Also
habe ich mich zu den beiden gesetzt, um ihnen ein wenig Gesellschaft zu
leisten. Er klagte über Schmerzen in der Brust, aber ich dachte, das käme vom
Magen. Louise war besorgt, aber ich habe ihn noch aufgezogen. Ich habe
vergessen, was ich gesagt habe, aber ich war fest davon überzeugt, dass es
nichts Ernstes war. Er schob den Teller weg und stand auf. Er presste sich die
Hand auf die Brust und rang nach Atem. Er machte zwei Schritte und sackte dann
zusammen. Er war gleich tot. Wir haben den Krankenwagen gerufen und erst noch
Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, aber es hatte keinen Sinn mehr.«
    »Mrs. Seine, ich weiß nicht, wie ich es
sagen soll, aber könnten Sie sich vorstellen, einer Autopsie zuzustimmen? Ich
weiß, das ist ein schmerzliches Thema, und Sie sehen vielleicht keine
Notwendigkeit, aber mir wäre um vieles wohler, wenn wir bezüglich der
Todesursache wirklich Gewissheit hätten.«
    »Wieso zweifeln Sie daran?«
    »Ich frage mich, ob es nicht sein kann,
dass jemand... äh... nun ja, an seinem Essen oder seinen Medikamenten
herummanipuliert hat.«
    Ihre Augen richteten sich mit fast
schon leuchtender Klarheit auf mein Gesicht. »Sie glauben, er ist ermordet
worden.«
    »Ich hätte es gern ausgeschlossen. Das
mag völlig unbegründet sein, aber anders werden wir es nie sicher wissen. Wenn
er erst einmal beerdigt ist...«
    »Ich verstehe«, sagte sie. »Ich würde
es gern mit Louise besprechen und vielleicht auch noch mit Morleys Bruder, der
heute Abend kommt.«
    »Kann ich Sie am späteren Abend
nochmals anrufen? Es tut mir Leid, dass ich Sie drängen muss. Ich weiß, das ist
eine große Belastung, aber da die Trauerfeier ja schon morgen ist, bleibt nicht
mehr viel Zeit.«
    »Sie brauchen sich nicht zu
entschuldigen«, sagte sie. »Natürlich

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