Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
du nur zehn Prozent davon deinem Nachbarn entgegenschleudern würdest, wären diverse Tagessätze fällig. Ich halte das bis heute für eine schreiende Ungerechtigkeit. Für mich hat das mit Pressefreiheit nicht mehr viel zu tun.
Doch bevor mich einer tatsächlich für so selbstverliebt hält, wie es mir vorgeworfen wurde, sei gesagt: Es gab Kritik, mit der ich bestens umgehen konnte. Faire Kritik eben. In der Sport-Bild beispielsweise schrieb lange Jahre der TV -Kolumnist Freddy Durchblick, hinter dem (was damals niemand wusste) der Bruder des langjährigen Chefredakteurs Gerhard Pietsch steckte. Der Mann muss jede Woche stunden- und tagelang vor dem Fernseher gesessen und Sport geschaut haben (meine Hochachtung!), ungefähr jeden Tag, achtundzwanzig Stunden, rund um die Uhr mit mehreren Fernsehern. Er hat dich nach allen Regeln der Kunst mit feiner Feder seziert – und dich genau in der Minute erwischt, in der du schlecht warst. Damals ist man aus der Sendung raus und hat genau gewusst: Au weh, Burschi, das war heute nix – und der Meister Durchblick hat garantiert zugeschaut. Ich habe für solche misslungenen Sendungen den Satz erfunden: »Das müssen wir nicht archivieren.« Und so war’s dann auch. Damals hat man die Sport-Bild von hinten aufgeschlagen und geschaut, wie viele Bälle man bekommen hat. Zeugnisverteilung, Freunde! Freddy hatte Volltreffer, der hat aber auch gelobt. Und er war nie verletzend. So einen wie ihn habe ich nie mehr erlebt.
Natürlich hat Waldis Club auch polarisiert. Wobei ich nie verstanden habe, dass sich Menschen so quälen können, dass sie diese wirklich praktische und meist rot beschriftete Ausschalttaste an der Fernbedienung einfach nicht finden. Denn es ist doch so: Ein Länderspiel oder Olympische Spiele willst du einfach sehen, und dafür erträgst du notfalls halt auch einen Kommentator, der dir auf die Nerven geht. Aber Waldis Club musste niemand sehen, wenn er nicht wollte. Ich habe doch nie einen Zuschauer am Fernsehsessel festgebunden, mit der Peitsche bedroht, die Fernbedienung die Toilette runtergespült und mit drohender Stimme gesagt: »Und du schaugst jetzt zua, sonst passiert was, Freunderl!« Wir haben ja meistens gegen Viertel nach elf, halb zwölf gesendet – und mir fallen für diese späte Abendstunde genug wunderbare Aktivitäten ein, die viel mehr Spaß machen, als sich grün und blau über den Hartmann zu ärgern. Habe ich nie verstanden, werde ich nie verstehen. Aber vielleicht ist die Alternative, die bei solchen Leuten kurz vor Mitternacht lockt, nicht ganz so spannend wie bei mir daheim. Jedenfalls hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Kritiker von ihrem Redaktionsleiter, Ressortleiter, von wem auch immer, dazu gezwungen wurden: Du schaust heute Waldis Club an. Die hatten aber eigentlich ganz andere, schöne Dinge vor und ließen ihrem Frust freien Lauf.
Was auch für die Politiker und ihre gut dreißig »Freunde« galt, die sich während der Fußballeuropameisterschaft 2012 unter dem Motto »Waldis Club abschaffen!« bei Facebook zusammenfanden. Darunter waren Ruprecht Polenz, in seiner kurzen Amtszeit von April bis November 2000 als Generalsekretär der CDU krachend gescheitert, und Franz Maget, der den TSV 1860 München mit an die Wand gefahren hat und der als Ministerpräsidentenkandidat die bayerische SPD in ihre beiden größten Niederlagen nach dem Krieg geführt hat – sofern bei ihm von Führung überhaupt die Rede sein kann. Dieser Maget, der Vater aller Niederlagen, und Polenz (mittlerweile hat er sich mit dem Posten des Fernsehratsvorsitzenden des ZDF abgefunden), führten also die Anti-Waldi-Front im »sozialen Hetzwerk« Facebook an. Hatte ZDF -Polenz mit Usedom keine anderen Sorgen? Und wie kann es angehen, dass ein ZDF -Vertreter eine ARD -Sendung in aller Öffentlichkeit dermaßen abqualifiziert und von »Abschaffen« spricht – eine hasserfüllte Formulierung, die mich an unselige Zeiten erinnert. Wobei: Vielleicht hat Polenz bis heute nicht verkraftet, wie schnell er wegen beispiellosen Misserfolgs als CDU - Generalsekretär »abgeschafft« worden war.
Ergänzt wurde diese unselige Runde ausrangierter Politiker von Thüringens Kultusminister Christoph Matschie aus dem MDR -Sendegebiet. Waldis Club als drohender Untergang des Abendlandes – ich hätte eigentlich gedacht, dass unsere Politiker andere Probleme haben müssten.
Aber als Fernsehschaffender merkst du ja selber, wie so ein Trend entsteht. Das ging Harald Schmidt
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