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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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wollte mir also eine Siezgelegenheit anbieten und einen Per-Sie-Schein ausstellen.
    Zuvor hatte es in Sachen Waldi und Sprache nur einmal Probleme gegeben – in den Achtzigerjahren beim Bayerischen Rundfunk, mit dem bereits erwähnten hauseigenen Sprachpfleger Dr. Schmidt, der mich kräftig auf dem Kieker hatte. Der Doktor hatte seine Lieblinge, und er hatte seine Kandidaten, mit denen er nichts anfangen konnte – und ich stand auf der schmidtschen Liste des Bösen mit enormem Vorsprung auf Platz eins.
    Schmidt führte nämlich tatsächlich eine Liste, auf der links die Namen der BR -Mitarbeiter standen, die er beurteilte, und rechts die Vergehen. Sein Liebling war (was ich verstanden habe) die unvergessene Petra Schürmann. Und ich war der Anti-Schürmann (was ich nicht verstanden habe), der Nach richtensprecher des Grauens in der Rundschau . Bei Petra stand links der Name und rechts nichts. Bei mir stand links wenig, rechts waren es zwei Seiten – eine sprachliche Kompletthinrichtung. Alles falsch ausgesprochen, alles falsch betont – und dabei hatte ich nicht einmal geduzt. Dieser Mann hat in diesem Beruf keine Zukunft!
    Die »Duzmaschine Hartmann« hat die Süddeutsche Zeitung 1996 in ihrem Magazin erfunden – eine zugegebenermaßen brillante Formulierung, außer wenn sie einen selbst betrifft. Die Duzmaschine blieb an mir kleben, bis heute. Extra für mich, nochmals vielen Dank dafür, hat die WDR -Sportredaktion sogar ein Positionspapier mit dem schönen Titel »Distanz in der Sportberichterstattung« erstellt – um zu beweisen, »dass wir uns mit dem Gegenstand unserer Berichterstattung nicht gemein machen«. Kinder, habt ihr keine anderen Sorgen?
    Bei den Kritikern heißt es ja immer, dass das Duzen nach Geklüngel und Kumpanei zwischen Journalist und Sportler klingt, dass es eine Nähe herstellt, bei der sich der Zuschauer ausgeschlossen fühlt. Wahrscheinlich hat der Hartmann mit dem Sportler XYZ gemeinsame Leichen im Keller, oder warum duzen die sich? Jo, wo samma denn da? Die Wahrheit: Mit keinem einzigen Sportler verband mich jemals eine Leiche im Keller, es handelte sich immer nur um das eine oder andere Getränk an einer Bar.
    Das klassische Beispiel war die WM 1994 in den USA mit Mario Basler und Kalle Riedle. Mit Basler war ich, wie jeder andere Mensch auch, per Du – wenn jemand Mario mit »Herr Basler« anspricht, dreht er sich um und schaut, wer gemeint sein könnte. Und Kalle kannte ich, seit er mit siebzehn aus dem Allgäu zum FC Augsburg gekommen war. Berti Vogts hatte ihn in den USA gleich im Eröffnungsspiel ausgewechselt, einem grau sigen 1 : 0 gegen Bolivien. Für jemanden, der im Sturm spielt, bedeutet so etwas beim Auftaktspiel meistens: Höchst strafe, Turnier gelaufen, wünsche guten Heimflug. Denn wenn der andere Stürmer ein Tor schießt, kommst du nie mehr in die Mannschaft. Getroffen hat übrigens Jürgen Klinsmann. Auch das noch, wird sich der Riedle gedacht haben.
    Dieser Karl-Heinz Riedle, besser gesagt, der kümmerliche Rest von Karl-Heinz Riedle, trat also nach diesem peinlichen Spiel bei mir zum Interview an. Und dann habe ich mit ihm so gesprochen, wie ich immer im Blickpunkt Sport im Bayerischen Fernsehen geredet habe: Mit Menschen, mit denen ich per Du war, war ich per Du. Und bei einem privaten Sie blieb es auch im Interview beim Sie. Ganz einfache Regel. Natürlich sieze ich Dortmunds Präsident Reinhard Rauball. Oder Mainz-Trainer Thomas Tuchel, falls ich ihm einmal begegne. Die Leute kenne ich kaum, und warum sollte ich mich dort als Duzer anbiedern? Dafür darf ich Otto Rehhagel duzen, was auch nicht viele geschafft haben.
    Jedenfalls war in dieser Situation mit Karl-Heinz Riedle für mich ganz klar: Wenn ich Kalle jetzt zum ersten Mal sieze, dann sperrt der zu, dann denkt der: »Ja, pfiati Gott, jetzt ist der Hartmann auch noch gegen mich.« Und dann sieht der Zuschauer ein Interview, in dem zwar ARD -vorschriftsmäßig gesiezt wird, aber bei dem nichts rauskommt. Und wer hat etwas davon? Niemand, außer Herrn Pudenz. Und ich muss nach dreißig Berufsjahren auch wirklich nicht damit kokettieren, dass ich ein paar Fußballer kenne. Wenn es anders wäre, hätte ich etwas falsch gemacht.
    Aber das Problem bei solchen Schreibtischtätern und Be denkenträgern – und das Fernsehen ist voll davon, bis heute –, die nie den direkten Umgang mit den Menschen pflegen, lässt sich ganz einfach auf den Punkt bringen: Sie halten ihr Publikum für dümmer, als es ist. Die

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