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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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glauben tatsächlich, der Zuschauer sitzt daheim vor dem Bildschirm und grämt sich und ärgert sich grün und blau, weil der Fernseh-Waldi den Riedle oder den Wasi oder die Rosi oder wen auch immer beim Interviewen duzt. Nach dem Motto: So eine Unverschämtheit, ich fühle mich total ausgeschlossen bei dem Interview. Jetzt bin ich bös und schalte aus oder um auf RTL !
    Denn davor haben sie am meisten Angst im Fernsehen: dass der Zuschauer ausschaltet. Oder, noch viel schlimmer, dass er umschaltet. Ausschalten geht noch, schlafen gehen darf der Zuschauer, wenn er unbedingt meint. Dann sammelt wenigstens die Konkurrenz keine Marktanteile. Aber Umschalten ist die Hölle für Fernsehmenschen.
    Für mich war es immer wichtig, dass ich für den Sportler eine angenehme Atmosphäre schaffe, in der er sich öffnet, in der er Sachen preisgibt, die er in einem steifen Rahmen für sich behalten hätte. Deshalb darf die erste Interviewfrage auch nie die Frage mit der vorgehaltenen Flinte sein. Die darf gern später kommen. Aber erst mal musst du immer mit dem Watte bäuschchen werfen. Und, liebe Fernsehkollegen, bitte nie vergessen: Wichtig sind nicht die Fragen, die wir Journalisten stellen, egal ob per Sie oder per Du. Denn die Fragen stehen nicht am nächsten Tag in der Zeitung oder heutzutage ein paar Sekunden später auf Facebook und Twitter. Dort stehen nur die Antworten – und auf die kommt es an!
    Ich bleibe bei meiner Meinung: Der Zuschauer sieht lieber ein Interview, in dem geduzt wird – in dem er was erfährt und in dem er den Sportler als authentischen Menschen erlebt –, als ein gesieztes Interview, bei dem nichts rauskommt. So einfach ist das. Heute siehst du beim Sport im Fernsehen nur noch Interviews, in denen gesiezt wird. Oft genug hat man dabei das Gefühl, da findet gar kein Gespräch statt, sondern da wird der Sportler zu einem Verhör einbestellt. Dabei wird dann gern vergessen, dass es »Studiogast« heißt, mit Betonung auf »Gast«. Und als Wirt habe ich gelernt: Der Gast muss sich wohlfühlen. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Zwang zum Siezinterview die Wahrheitsfindung fördert.
    Aber das ist sowieso ein sehr deutsches Phänomen mit dem Siezen. In der Schweiz zum Beispiel ist man sehr viel schneller per Du. Es gibt keinen Skilehrer, der zu einem König jemals »Sie« gesagt hätte. Über tausend Meter gilt das Skileh rer-Du. Und am schlimmsten finde ich das Hamburger Sie. Sie, Jürgen! Ja, hör mir doch auf!
    Und der Sie-Zwang hat Dinger produziert, man glaubt es nicht! Ich weiß noch, nach dem ganzen Waldi-Duz-Wirbel durfte man im ZDF -Sport nicht mehr duzen. Dienstvorschrift, schriftlich, obwohl auch Harry Valérien und Dieter Kürten immer gerne geduzt haben. Doch wozu hat’s geführt? Ich erinnere mich an ein Interview Michael Steinbrecher gegen Peter Neururer – und das »gegen« steht hier ganz bewusst. Steinbrecher immer per Sie, Sie, Sie – und Neururer hat immer entschlossen zurückgeduzt. Peinlich.

15
    DAS MÜSSEN WIR NICHT ARCHIVIEREN
    Faire und unfaire Kritiker
    Hand aufs Herz: Mit Kritikern umzugehen – das musste ich erst lernen. Geärgert habe ich mich immer dann, wenn ich genau gemerkt habe, es geht nicht um eine konstruktive und sachliche Kritik – sondern der Absender kann einfach mit meiner Person nichts anfangen, weil ihm mein Schnauzer nicht gefällt oder was auch immer.
    Für mich war das Schlimmste, als mich Jürgen Roth 2002 in der Frankfurter Rundschau als »konfusen Krachkopf« dermaßen persönlich runtergemacht hat, dass ich ein einziges Mal den Medienanwalt Michael Nesselhauf angerufen habe. In der Kritik (wenn man sie überhaupt so nennen möchte) ging es um »Waldemar Hartmann, diese aggressiv-heitere, mopsig-joviale Inkarnation von rettungsloser Selbstliebe und intellektuellem Bankrott, diese Heimsuchung des modernen Fernsehens, der Kumpelei und nationalen Erregung«. Mehr will ich von der Schweinenummer gar nicht zitieren, es wäre zu viel der Ehre.
    Jedenfalls habe ich zum Telefonhörer gegriffen und mich beklagt: »Herr Nesselhauf, ich kann doch nicht alles über mir auskübeln lassen.« Und dann hat mir Nesselhauf erklärt: »Herr Hartmann, wir können leider nichts machen. Und ich sage Ihnen auch warum: Über dem Artikel steht ›Eine Polemik‹.« Da habe ich gelernt: Wenn man »Polemik« über einen Artikel schreibt, besitzt man einen Freifahrtschein für Unverschämtheiten aller Art. Da kannst du jeden von oben bis unten hemmungslos besudeln. Wenn

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