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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Hartmann
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Prominentenmannschaft. 15000 Zuschauer im schwabenweit weltberühmten Rosenaustadion. Wir mit Auge, Bulle Roth, Uli Hoeneß, Hansi Pflügler, Raimond Aumann, mit dem alten Clubberer Stefan Reisch, 19 61 mit dem 1 . FC Nürnberg Deutscher Meister. Eine absolute Welttruppe, und Waldi mittendrin. In der Kabine saß ich neben Stefan Reisch, einem begnadeten Techniker, und der erklärte mir: »Siehst, Waldi, ich hab schon immer gesagt, der Uli Hoeneß hat nie Fußball spielen können, der hat immer nur rennen können. Und jetzt, wo er nicht mehr rennen kann, siehst du, dass er nicht Fußball spielen kann.« So war die Stimmung bei der Schmiere. Das hat mir etwas bedeutet, diese Mannschaft. Wir haben auch vor null Zuschauern gespielt. Alle waren geil auf den Ball, Hauptsache, die Kugel war auf dem Platz. Und wir haben immer gewusst, auch nach Sammys Tod: Wir müssen spielen, das sind wir Sammy schuldig.
    Sammy Drechsel war dermaßen fußballbekloppt, der hatte einen Herzinfarkt, saß zwei Wochen später auf der Bank und hat sich zum Elfmeter selber eingewechselt. Sammy hat den FC Schmiere an einem unvergessenen Silvestertag zweimal spielen lassen, gegen zwei Gegner, weil er in dieser Saison noch keine hundert Tore geschossen hatte. Und diese Bilanz der Schande durfte nicht ins neue Jahr mitgenommen werden. Beim zweiten Spiel, als es nur noch um eine einzige Kiste für Sammy ging, hat einer von uns, körperlich völlig am Ende, zum Schiedsrichter gesagt: »Hey, Schiri, jetzt pfeif endlich einen Elfer, damit der sein Tor macht. Du kriegst einen Hunderter dafür. Sonst lässt der noch einen dritten Gegner einfliegen.« So ist der Sammy zu seinen 1500 Toren gekommen. Ihn am Strafraum nicht anzuspielen war bei Todesstrafe verboten.
    Einmal bei einem Spiel, Freistoß aus zwanzig Meter. Der Platz ist wie meistens furchtbar. Sammy baut sich aus einem Häuferl Erde kunstvoll eine Abschussrampe, legt den Ball drauf, nimmt fünfzehn Meter Anlauf wie Cristiano Ronaldo – und ein Mitspieler steht neben dem Ball und haut ihn aus dem Stand ins Kreuzeck, bevor der Herr Drechsel angerauscht kommt. Der durfte drei Monate nicht mehr spielen.
    Sammy Drechsel hat alles erreicht im Leben, er gründete die Lach und Schieß, er war schon zu Lebzeiten eine Legende. Zu seiner Beerdigung kamen 3000 Leute, der Nordfriedhof war schwarz vor Menschen, von Willy Brandt abwärts. Er hatte ein fesches Haus draußen in Freimann, eine tolle Frau, Irene Koss, die erste Ansagerin in der Geschichte des deutschen Fernsehens – und er liebte seine Arbeit und vor allem den Fußball bis zum letzten Atemzug. Als ihn der damalige BR -Sportchef Eberhard Stanjek auf dem Bildschirm ein wenig aus dem ersten Sturm bugsiert hatte, hat Sammy beim nagelneuen BR -Kabelfernsehen rangeklotzt, das zwei Jahre lang überhaupt keine Zuschauer hatte, weil es kein Mensch sehen konnte. Aber Sammy war selig, dass er arbeiten und vom Fuß ball berichten durfte.
    Weil wir keine anderen Senderechte hatten, haben wir Fußball aus der Bezirksliga übertragen. Und der große Sammy Drechsel, Autor des Bestsellers Elf Freunde müsst ihr sein , der schon neben Sepp Herberger auf der Bank saß, war dort, hat mit ganzem Herzen aus der Bezirksliga berichtet und war happy. Und dann hat er einen Bericht zusammengeschnitten, den kein Mensch gesehen hat. Ums Geld ging es ihm dabei schon längst nicht mehr. Hauptsache Arbeit, Hauptsache Fuß ball, allet dufte!
    Und dufte war er tatsächlich, dieser kleine große Sammy Drechsel, mit dem ich gerne noch viele Jahre länger Spaß gehabt hätte. Die großartigste linke Socke aller Zeiten. Als Sammy an Krebs starb, war er erst sechzig, fünf Jahre jünger, als ich es jetzt bin. Auch an ihn habe ich gedacht, als ich mich entschieden habe, mir meine letzten Jahre vor dem ominösen Siebzigsten nicht mehr von Neid und Missgunst verderben zu lassen. Das Fernsehen heute könnte mehr so wunderbar verrückte Sammy Drechsels brauchen. Der Mann hatte wirklich ein Herz wie ein Bergwerk.

14
    DER GAST MUSS SICH WOHLFÜHLEN
    Warum ich gerne die Duzmaschine bin
    »Hartmann, die Duzmaschine« – so lassen sich die ersten größeren öffentlichen Kritiken an mir in drei Wörtern zusammenfassen. 1994 , im Jahr der Olympischen Winterspiele in Lillehammer und der Fußball- WM in den USA , kam plötzlich von Dieter Pudenz, dem stellvertretenden Sportchef des SWR , in der Schaltkonferenz: Waldi darf nicht mehr duzen. Entweder er siezt, oder er muss runter vom Bildschirm. Man

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