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Driver

Driver

Titel: Driver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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bist, nicht so ein Arschloch, das sich einen Namen machen will, sagte Jimmie.
    Der erste Drehtag war frühestens Anfang nächster Woche, also beschloss Driver, zu einem Kurzbesuch nach Tucson zu fahren. Er hatte seine Mom nicht mehr gesehen, seit man sie vor vielen Jahren aus ihrem Sessel geschält hatte. Damals war er fast noch ein Kind gewesen.
    Warum ausgerechnet jetzt? Scheiße, wenn er das wüsste.
    Während der Fahrt veränderte sich die Landschaft um ihn herum von Minute zu Minute. Zuerst wichen die planlos angelegten Straßen des Zentrums von L.A. den unüberschaubaren Trabantenstädten der Vororte, dann kam lange Zeit nicht viel mehr als der Highway. Tankstellen, Denny’s, Del Tacos, Einkaufszentren, Holzlager. Bäume, Mauern und Zäune. Zu diesem Zeitpunkt hatte Driver den Galaxy für einen alten Chevy in Zahlung gegeben, auf dessen Kühlerhaube Flugzeuge landen konnten und dessen Rücksitz groß genug war, um eine kleine Familie zu beherbergen.
    Zum Frühstück hielt er bei einer Union-76-Raststätte und beobachtete einige Trucker, die in dem für sie reservierten Teil des Lokals vor Tellern mit Steaks und Eiern, Roastbeef, Hackbraten, gegrillten Hühnchen und panierten Schnitzeln saßen. Großartige amerikanische Wegzehrung. Trucker – das war die letzte Verkörperung des unsterblichen amerikanischen Traums absoluter Freiheit. Immer wieder aufsitzen, immer dem Sonnenuntergang entgegen.
    Das Gebäude, auf dessen Parkplatz er mit dem Chevy langsam einbog, sah aus wie eine der Bruchbuden, in denen die Sonntagsschule stattgefunden hatte, als er noch ein Kind war. Billigste Bauweise, matt weiße Wände, nackte Betonböden.
    »Wen wollen Sie besuchen …?«
    »Sandra Daley.«
    Die Frau am Empfang starrte auf ihren Bildschirm. Ihre Finger tanzten flink über eine abgenutzte Tastatur.
    »Ich kann sie nicht … Doch, hier haben wir sie ja. Und Sie sind …?«
    »Ihr Sohn.«
    Sie nahm ihr Telefon ab.
    »Wenn Sie bitte dort Platz nehmen würden, Sir? Es wird gleich jemand bei Ihnen sein.«
    Wenige Minuten später erschien eine junge eurasisch aussehende Frau in gestärktem weißem Kittel und Jeans darunter. Niedrige Holzabsätze klackerten über den Betonboden.
    »Sie wollen Mrs. Daley besuchen?«
    Driver nickte.
    »Und Sie sind ihr Sohn?«
    Er nickte wieder.
    »Verzeihen Sie die Nachfrage. Aber den Unterlagen zufolge hatte Mrs. Daley all die Jahre keinen einzigen Besucher. Dürfte ich vielleicht einen Ausweis sehen?«
    Driver zeigte ihr seinen Führerschein. Damals hatte er noch einen, der nicht gefälscht war.
    Mandelaugen musterten ihn scharf.
    »Ich möchte mich nochmals entschuldigen«, sagte sie.
    »Kein Problem.«
    Die Brauen über ihren Mandelaugen beschrieben nur andeutungsweise einen Bogen und waren ein wenig zerzaust.
    »Ich bedaure sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Mutter letzte Woche verstorben ist. Es gab eine ganze Reihe Probleme, aber am Ende ist sie an kongestivem Myokardversagen gestorben. Eine aufmerksame Krankenschwester hat die Auffälligkeiten bemerkt; keine Stunde später hatten wir sie an einen Respirator angeschlossen. Aber da war es bereits zu spät. So ist es leider viel zu oft.«
    Sie berührte seine Schulter.
    »Es tut mir sehr leid. Wir haben alles in unserer Macht Stehende versucht, um uns mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Offenbar waren sämtliche Kontaktdaten, die wir besaßen, schon lange nicht mehr gültig.« Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, suchte nach einer Reaktion. »Ich fürchte, nichts von dem, was ich Ihnen sagen kann, ist eine große Hilfe.«
    »Ist schon okay, Doktor.«
    Ihr entging nicht die leichte Anhebung der Tonhöhe am Satzende, die ihm selbst gar nicht bewusst war.
    »Park«, sagte sie. »Doktor Park. Amy.«
    Beide drehten sich um, als am Ende des Korridors eine fahrbare Krankentrage in Sicht kam. Wie ein Lastkahn auf einem Fluss. African Queen. Eine Krankenschwester war über den Patienten gebeugt und drückte immer wieder auf seinen Brustkorb. »Scheiße!« fluchte sie. »Ich glaub, ich hab ihm gerade eine Rippe gebrochen.«
    »Ich kannte sie kaum. Ich dachte nur …«
    »Ich muss los.«
    Auf dem Parkplatz lehnte er sich an den Chevy und starrte auf die Bergketten, die Tucson umgaben. Die Santa Catalina Mountains im Norden, die Santa Rita Mountains im Süden, die Rincon Mountains im Osten, die Tucson Mountains im Westen. Die ganze Stadt war ein einziger Kompass. Wie konnte sich hier jemand nur so hoffnungslos verlaufen haben?

12
    Der zweite und

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