Driver
richtig schöne. Da sind die Leute sogar auf die Idee gekommen, sie wären hier willkommen.« Ein ersticktes Geräusch – ein Lachen? »Du könntest der Blutmann sein, weißt du das? Wie der Milchmann. Die Leute würden Flaschen vor die Tür stellen, mit einem zusammengerollten Zettel, auf dem all die Sachen stehen, die sie brauchen. Einen Viertelliter Serum, einen halben Liter Vollblut, eine kleine Portion rote Blutkörperchen … Ich brauch heute kein Blut, Blutmann.«
»Aber ich, und noch erheblich mehr, wenn du mich nicht reinlässt.«
Doc wich einen Schritt zurück, der Türspalt wurde breiter. Der Mann hatte in einer Autowerkstatt gelebt, als er und Driver sich kennen lernten. Jetzt wohnte er immer noch in einer Werkstatt. Allerdings einer größeren – das musste Driver zugeben. Doc hatte sein halbes Leben lang Hollywood mit so gerade eben noch legalen Drogen versorgt, bevor man ihm die Praxis schloss und er nach Arizona zog. Er besaß damals eine Villa oben in den Hills, sagten die Leute, mit so vielen Zimmern, dass niemand, nicht mal Doc selbst, genau wusste, wer dort alles lebte. Bei Partys schlenderten Gäste die Treppe hinauf und wurden dann tagelang nicht mehr gesehen.
»Wie wär’s mit einem Schlückchen?« fragte Doc, als er sich aus einer Zweiliterflasche Bourbon einschenkte.
»Warum nicht.«
Doc reichte ihm ein zur Hälfte gefülltes Glas, das so trüb war, als wäre es mit Vaseline eingeschmiert.
»Cheers«, sagte Driver.
»Der Arm da sieht gar nicht gut aus.«
»Findest du?«
»Wenn du willst, könnte ich ihn mir mal ansehen.«
»Ich hab keinen Termin.«
»Ich schieb dich irgendwo dazwischen.«
Driver merkte, wie Doc ernst wurde.
»Gut, mal wieder nützlich sein zu können.«
Er huschte herum und suchte seine Sachen zusammen. Einige der Instrumente, die er sorgfältig nebeneinander aufreihte, sahen ein wenig unheimlich aus.
Während er Driver behutsam die Jacke auszog und mit einer Schere das blutgetränkte Hemd und das klebrige T-Shirt wegschnitt, pfiff Doc unmelodisch vor sich hin und blinzelte.
»Meine Augen sind auch nicht mehr, was sie mal waren.« Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte, um die Wunde mit einer Arterienklemme zu untersuchen. »Aber andererseits, was währt schon ewig?«
Er lächelte.
»Das ruft Erinnerungen wach. Als ich noch auf der Highschool war, hab ich wie besessen Gray’s Anatomy gelesen. Hab das Scheißding überall mit hingeschleppt, als wär’s die Bibel.«
»Bist in die Fußstapfen deines Vaters getreten, was?«
»Wohl kaum. Mein alter Herr war zu sechsundachtzig Prozent Weißbrot und ein hundertprozentiges Arschloch. Hat sein Leben damit verbracht, ganze Zimmer voll Möbel auf Pump an Familien zu verkaufen, von denen er genau wusste, dass sie sich den Plunder nicht leisten konnten. Nur damit er ihnen anschließend das Zeug wieder abnehmen und weiter abkassieren konnte.«
Doc öffnete eine Flasche Betadine, leerte sie in einen Kochtopf, fand ein Paket Baumwollläppchen und warf diese ebenfalls hinein. Dann fischte er eines mit zwei Fingern heraus.
»Meine Mutter war Peruanerin. Wie die zwei sich kennen lernen konnten, habe ich nie kapiert, bei den Kreisen, in denen er verkehrte. Bei sich zu Hause war sie Hebamme und Schamanin gewesen, eine wichtige Persönlichkeit in ihrer Gemeinde. Hier bei uns wurde sie in eine perfekte Ehefrau und Hausfrau verwandelt.«
»Von ihm?«
»Von ihm. Von der Gesellschaft. Von Amerika. Von ihren eigenen Erwartungen. Wer weiß das schon?«
Doc tupfte die Wunde behutsam ab.
Seine Hände zitterten nicht mehr.
»Die Medizin war die große Liebe meines Lebens, die einzige, der ich je nachlief … Aber, wie du selbst sagst – alles lange her. Ich hoffe nur, ich kann mich noch erinnern, wie’s geht.«
Gelbe Zähne zeigten sich in einem breiten Grinsen.
»Entspann dich«, sagte er. Er zog eine billige Schreibtischlampe näher heran. »Ich mach nur Spaß.«
Die Glühbirne der Schreibtischlampe flackerte, ging aus und wieder an, als Doc dagegen klopfte.
Nachdem Doc selbst einen kräftigen Schluck genommen hatte, reichte er Driver die Bourbonflasche.
»Meinst du, die Platte hat einen Sprung?« fragte Doc. »Hört sich für mich an, als würde sie hängen.«
Driver lauschte. Wie sollte man das wissen? Die gleiche Phrase immer und immer wieder. Irgendwie.
Doc deutete mit dem Kopf auf die Hasche.
»Nimm noch ein paar Schlucke, Junge. Wie’s aussieht, wirst du es brauchen. Wir beide. Bist du so
Weitere Kostenlose Bücher