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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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am Freitag tauchten sie nicht auf. Langsam wunderten sich die Leute, dann machten sie sich Sorgen. Das hier war ein unsicherer Ort, wild, voller Überraschungen – und falls sie das noch nicht vollends kapiert hatten, weil sie alle so mit sich beschäftigt waren, so konzentriert auf ihre Hände und Füße, auf das Hobeln von Baumstämmen, die Lachse im Fluß und die Beeren in den Hügeln, dann hatte sie dieses Monster aus den Wäldern deutlich daran erinnert. Sie waren hier nicht in Kalifornien. Nicht in Indiana, Texas oder New Jersey. Sie waren in Alaska, und sie würden es durchstehen, keine Frage, und es war schön hier oben, beinahe das Paradies, aber es war auch ein gutes Stück riskanter , als die meisten es sich in ihrer kalifornischen Kindheit erträumt hätten, wo es allenfalls ein Problem gewesen war, ob sie genug Benzin im Tank hatten oder ob es im Supermarkt Fladenbrot und Artischocken gab. Die Sonne hatte sie eingelullt, der Duft des Flusses und das Aroma der Bäume, die klebrigen warmen Tage, die scheinbar ewig dauerten. Jetzt aber war Schluß.
    Am Freitag abend ging Star ans Wasser und starrte flußabwärts, bis ihre Augen den Sog spürten. Sie hatte Angst um ihn, natürlich hatte sie das. Nach Marco stand ihr Ronnie auf dieser Welt am nächsten, und sie wußte nicht, was sie tun würde, wenn ihm etwas passiert wäre. Er war die Verbindung – ihre einzige Verbindung – zur Vergangenheit, zu Mr. Boscovich und dem Highschool-Jahrbuch, sogar zu ihren Eltern, und auch wenn sie nie mehr zurückkehren würde, auch wenn sie das alles heute so wie damals haßte, wurde es doch um so wichtiger für sie, je weiter sie davon entfernt war – es gehörte zu ihr, genau wie die Atome, aus denen die Zellen ihres Körpers bestanden, und sie brauchte es. Jeder brauchte so was. Mit Marco sprach sie oft darüber und mit Merry und Maya auch. Um hierherzukommen, um ein Teil davon zu sein, um das zu tun, was sie auf Drop City probierten, mußte man alle Brücken hinter sich abbrechen, so schmerzhaft das auch war – aber das hieß ja nicht, daß man seine Vergangenheit auslöschen mußte, als hätte man nie eine gehabt. Sie war einmal Paulette gewesen. War auf eine katholische Schule gegangen. Hatte mit ihrer Mutter Plätzchen gebacken, ihr Fahrrad über die schwarzgeteerten Straßen der Wohnsiedlung gelenkt, sich in Jungen verliebt, in ihr Tagebuch geschrieben und nächtelang am Telefon gehangen, um mit Nancy Trowbridge und Linda Sloniker die wichtigsten Dinge dieser Welt zu besprechen. Das zählte. Kein Zweifel. Und Ronnie gehörte mit dazu.
    Aber der Freitag war nun auch vergangen, ohne daß er aufgetaucht wäre. Es regnete den ganzen Samstag hindurch, und die Leute hockten in ihren Zelten oder zwängten sich in das bewohnbare Blockhaus, das des Onkels, das im Grunde nur aus einem einzigen winzigen Raum bestand, nicht größer als das holzgetäfelte Fernsehzimmer damals, in dem Stars Vater und ihr Bruder Sam sich an den Samstagnachmittagen auf der Couch gefläzt und Football geguckt hatten. Die Luft war abgekühlt – draußen hatte es sicher nicht mehr als zehn Grad –, aber imHaus war es immer noch zu heiß, viel zu heiß, weil auf dem Herd den ganzen Tag über in Schichten gekocht wurde und wegen der vielen Leute, die überall verstreut lagen wie Gepäckstücke; sie spielten Karten, meckerten über das Wetter, kifften sich voll und verwandelten das Haus in ein Dreckloch, während Star und Merry genug Platz zu finden versuchten, um einen Topf mit Bohnen zu zaubern, außerdem acht Laibe Brot, die garantiert wieder innen roh und unten verbrannt herauskommen würden, und was gäben sie nicht für ein paar Pakete mit La-Estrella-Tortillas aus dem Supermarkt von Guerneville. Die einzige Koje im Haus hatte Norm in Besitz genommen – immerhin hatte es ja mal seinem Onkel gehört –, in einer echten Klemme kannte der Kommunegeist seine Grenzen. Er lag jetzt auch drin, auf einen Ellenbogen gestützt, neben Premstar. Sie spielten Böse Dame, das einzige Kartenspiel, das sie kannte, und gerade jubelte sie ihm die Pik-Dame unter und quietschte auf, als wäre sie wieder zur Miss Watsonville gewählt worden.
    Draußen, im Regen, setzten Marco, Alfredo und ein paar der anderen – wie es aussah, waren es Deuce, Tom Krishna, Creamola und Foster – die tragenden Querbalken für das Dach des Versammlungsgebäudes ein, und es wäre ja auch echt nett, etwas mehr Platz zu haben, wenn das Wetter bald scheußlich wurde. Eben überhaupt

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