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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ursprüngliche Blockhaus, das Norms Onkel hinterlassen hatte, die Baumstämme waren schon altersgrau, aus dem Rasensodendach wuchsen kleine Bäumchen. Dahinter stand das neue Versammlungsgebäude, quadratischer Grundriß, noch ohne Dach, die Stämme schimmerten dort, wo die Rinde abgeschält war, gelb wie die Zähne eines Tieres, und ein Dutzend Leute kletterten mit Sägen, Beilen und Hämmern darauf herum. Star hörte das gedämpfte Dröhnen von Metall auf Holz, das Jaulen einer Kettensäge, gelegentlich einen Fluch. »Ich weiß nicht«, sagte Merry, »vielleicht irre ich mich ja, aber hab ich nicht dich vor zwei Tagen mit Deuce aus den Büschen kommen sehen? Flußaufwärts? Spätabends? Mit einem seligen Lächeln?«
    »Da haben wir Blaubeeren gesucht, sonst gar nichts. Falls du nämlich denkst ...«
    Star sah genau, daß sie log, nicht daß es irgendeinen Unterschied machte. Wenn Reba lieber die Heuchlerin gab, war das ihre Sache. Und Alfredos. Sie zog das Plastik glatt. Hämmerte einen Pflock ein. Starrte auf das gerodete Gelände hinter ihnen, blutende Baumstümpfe bis zum Fluß hinunter, und sie sah Che kommen, noch bevor sie ihn hörte, dann aber hörten sie ihn alle drei zugleich, sein gellendes Kreischen. »Äh, Reba, ich glaube, Che braucht dich«, sagte sie, und da war er auch schon, bleiches Protoplasma, außer sich und entrüstet, so kam er zwischen den Stümpfen daher, eine Hand vor sich ausgestreckt und jammernd, Sunshine dicht hinter ihm.
    Zwischen dem Gekreische brüllte er ihren Namen – »Reba! Reba!« –, denn selbst in derartigen Notlagen, was immer der Grund sein mochte, besaß er genug Verstand, sie nicht Mommy zu nennen wie irgendein ferngesteuertes Zombiekind aus einer Stadtrandsiedlung. Er war eine echte Göre, unterernährt, ohne Schulwissen, viel zu früh im Leben stoned, aber das immerhin wußte er. Reba kam auf die Beine. Sie trug ein beigegelbes Westernhemd mit bestickten Taschen, und sie nahm sich die Zeit, aus der einen Tasche ihre Zigaretten und aus der anderen ein Feuerzeug zu kramen, so daß sie die erste blaue Qualmwolke ausstieß, als Che das weinende Gesicht im V ihrer Oberschenkel begrub. »Was ist denn nun schon wieder?« fragte sie.
    Er konnte es ihr nicht sagen. Er stampfte nur mit den Füßen, bis das Plastik Löcher bekam und die Pflöcke herausflogen, und sie streckte die Arme aus, um ihn festzuhalten, während Sunshine zusah, die Hände in die Hüften gestemmt, und bereits ihre eigene Version der Geschichte probte. Nackt, gebräunt und übersät von den bösartigen roten Eruptionen Hunderter Insektenstiche, war sie das Urkind der Wildnis, von Wölfen gesäugt, mit Honigtau und dem Trank der Götter gelabt. Ihr Haar war strähnig und verfilzt, von der Sonne gebleicht. Sie beobachtete die Szene wachsam. »Hab ich nicht«, betonte sie mehrfach, während ihr Bruder der Mutter seine Anschuldigungen in den Schamhügel krähte. »Er war das. Er ist es gewesen.«
    In der Ferne rief jemand etwas. Star kümmerte sich nicht darum. Sie hatte hier zu tun, sahen die das nicht? Es lag Arbeit an, und sie besaß keine Geduld für schreiende Kinder oder die aktuelle Katastrophe – und die Katastrophen trafen mit schöner Regelmäßigkeit ein, eine pro Stunde, immer pünktlich –, konnte sich denn nicht irgendwer die Zeit nehmen, diesen Bälgern ein Buch vorzulesen?
    Aber jetzt wurden die Rufe lauter – »Star!« schrien mehrere Stimmen, »Star!« –, und als sie den Kopf wandte, sah sie eine Schar von Leuten in Richtung der Ziegenkoppel rennen, allen voran die beiden hellbraunen Hunde. Reba warf ihre Zigarette weg. Ches Schluchzen erstarb, ein Jaulen, ein Beben, dann nichts mehr. Star erhob sich zur selben Zeit wie Merry, die schwarze Plastikfolie zu ihren Füßen wogte wie eine dunkle See.
    Die Ziegen standen in einer provisorischen Koppel aus Birken- und Pappelästen, die zu einem anderthalb Meter hohen Zaun zusammengebunden waren, in einer Koppel, die später überdacht und für den Winter in einen Stall umgebaut werden sollte –, und deswegen hatte es eine wahrhaft stürmische Debatte gegeben, denn niemand konnte sich vorstellen, die Ziegen bei Kälte im Innern der Häuser zu haben, wo sie stanken und meckerten und ihre Bohnen fallen ließen, andererseits hatte auch keiner Lust, an einem Stall zu arbeiten, während es doch unendlich viel wichtigere Dinge zu tun gab, wie Blockhäuser zu bauen, Öfen zu setzen und klafterweise Holz zu hacken, damit sie sich im Winter nicht den

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