Drop City
Platz zu haben. Denn Star mochte zwar lächeln – sie lächelte ständig, zwei süße Lippen formten sich zum seligen Lächeln einer seligen Hippiebraut –, in Wirklichkeit aber fühlte sie sich kaum eineinhalb Herzschläge vom Wahnsinn entfernt, und wenn sie noch über einen einzigen unbesockten Stinkefuß steigen mußte, noch einen einzigen mit Essensresten verkrusteten Teller zu schrubben bekam, weil irgendein Idiot ihn ungespült irgendwohin geknallt hatte, dann würde sie einen Schreianfall kriegen, und nur Knebel und Zwangsjacke könnten sie dann noch im Zaum halten.
Sie blickte auf und sah zu den Männern hinüber, geduckte, umherhuschende Figuren in erdbraunen Ponchos, die mit dem Schlamm, dem peitschenden Regen und den schwankenden und schwer zu balancierenden Holzstämmen kämpften, und am liebsten wäre sie hinausgerannt und hätte ihnen Medaillen an die Brust geheftet. Alle anderen hatten für diesen Tag Feierabend ausgerufen – diejenigen, die überhaupt aus ihren Schlafsäcken rausgekrochen waren, wohlgemerkt. Reba zum Beispiel hatte sich reichlich rar gemacht, aber das war ja durchaus eine Wohltat, denn so polterten wenigstens ihre Kinder nicht alle zehn Sekunden zur Tür rein oder raus. Mendocino Bill hatte den ganzen Nachmittag mit Marco und den anderen gearbeitet, aber es gab keinen Poncho, der groß genug für ihn war, und nun lungerte er draußen unter dem Vordach des Hauses herum, blätterte in einem zerlesenen Rolling Stone und zitterte so heftig, daß das Glas in den Fensterrahmen schepperte. Sein Overall war völlig durchnäßt, die nackten Füße erinnerten an zwei mächtige Klumpen aus hartem Lehm, die ein Bohrer aus einem Erdloch ausgeworfen hatte. Natürlich stand er genau im Licht, aber Star fehlte der Mut, den Kopf zur Tür hinauszustrecken und ihn zu bitten, sich woanders hinzustellen. Sie versenkte mehrere Teller in der Abwaschschüssel. Unmittelbar zu ihren Füßen hockte Jiminy, den Arm in einer verdreckten Schlinge, und schnitzte Figürchen aus Erlenholz – seine Voodoo-Puppen nannte er sie, und er besaß schon eine richtige Sammlung davon, eine pro Bruder und Schwester auf Drop City, obwohl sie so primitiv waren, daß nur er sie auseinanderhalten konnte. Bei seiner Arbeit hingen ihm die Haare wie ein Vorhang im Gesicht.
In diesem Moment hatte Star eine Vision der Zukunft, des kommenden Winters: ohne Musik, stumpfsinnig wie Pappe, zusammengepfercht in ein paar halbfertigen Hütten ohne fließend Wasser und Toiletten, wo man einander auf die Nerven ging, während der Schnee fiel, das Eis dicker wurde und der Wind über die Baumwipfel pfiff wie das Ende von allem. Sie bewahrte sich dieses Bild für einen Moment, ehe sie es mit einem Kopfschütteln wegwischte.
»Wißt ihr was?« sagte Norm und hob die Stimme, um beim Knacken des Herdfeuers und dem steten Prasseln des Regens auch von allen gehört zu werden. »Jemand sollte wirklich mal mit dem Kanu nach Boynton runterfahren. Also, um nachzusehen, was mit Pan und Verbie los ist, denn ich nehme doch stark an, daß zumindest Verbs normalerweise keine ist, die uns hier oben Ärger machen will, indem sie irgendwas verzögert , wie etwa die Lieferung der Fensterscheiben und der neuen Sägeblätter, des Öls für die Kettensägen, des Hobelmessers, der Holzmeißel und all der übrigen Sachen und Waren, ohne die wir hier bald nicht mehr weiterkommen. Höchstens daß das mit ihrer Mutter irgendwie, ich weiß nicht, eventuell echt heavy geworden ist, finsterer, als sie dachte« – hier sah er zu Angela hinüber, die neben Jiminy in der Ecke kauerte und ein Kreuzworträtsel löste, das von einem Dutzend Leuten bearbeitet, ausgefüllt und wieder wegradiert worden war. Angela hob nicht einmal den Kopf, so daß man hätte meinen können, er erwähnte hier die Mutter von jemand ganz anderem. Andererseits: was sollte sie schon tun, außer eben selbst in ein Kanu springen? Oder sich Flügel wachsen lassen?
Jiminy sagte: »Mit denen ist schon alles okay. Wird wegen dem Wetter sein, daran liegt’s.«
»Aber gestern war’s schön«, bemerkte Star. »Und vorgestern auch.« Sie stand jetzt am Tisch, wo sie versuchte, eine Sauce aus Dosentomaten und einem Büschel alter brauner Zwiebeln zu machen, deren Außenhaut sich in einen dünnen Film aus schwarzem Schwamm verwandelt hatte, und allein der Gedanke an Chili oder Koriander war ein Witz. Die beiden konnten ertrunken sein. Das war ohne weiteres denkbar. Eigentlich war es ein Wunder, daß sie
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