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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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alle bei der Ankunft den Fluß hinauf unversehrt geschafft hatten, selbst mit Hilfe von Joe Bosky, der fünf- oder sechsmal mit Gepäck und Passagieren und Proviant hin- und hergeflogen war, während die Kanus gegen die Strömung ankämpften und Norm die Hundertdollarscheine aus der Brieftasche pflückte, damit die Propeller weiter surrten und die Schwimmer übers Wasser pitschten, einen langen, stressigen Nachmittag lang und bis in die Nacht, die niemals anbrach.
    Premstar konzentrierte sich auf ihr Blatt, und die anderen starrten zur Tür hinaus, hypnotisiert vom Regen. Norm schob seine Karten zusammen, dann sah er zu Star auf und kratzte sich meditativ am Bart. »Da werd ich wohl besser mal eine Versammlung einberufen«, sagte er schließlich, und Star folgte seinem Blick zur Tür hinaus in die klägliche Aussicht, die der Regen bot.
    Der nächste Morgen war wolkenlos, die Sonne stand schon hoch und strahlte durch den dünnen blauen Nylonstoff des Zeltes, als sie neben Marco aufwachte, einen trockenen, säuerlichen Geschmack im Mund und mit einer steifen Schulter, wo die Polsterung – Fichtenzweige, nicht mehr ganz frisch – sie durch den Schlafsack zerpikt hatte. Alles war feucht und klamm. Sie klebte am ganzen Körper vor Schweiß, weil der Biwakschlafsack bis minus dreißig Grad schützte und sie ihn am Abend bis zum Hals zugezogen hatte, denn sie zitterte so heftig, daß sie kaum die Kleider vom Leib bekommen hatte. Es hatte noch geregnet, als sie sich hingelegt hatte, fast eine Stunde nach Marco, und es konnte nicht viel kälter als sieben Grad gewesen sein, trotzdem hatte sich das Zelt angefühlt wie eine Kühlkammer, und das hatte sie mehr als alles andere dankbar sein lassen für den konzertierten Sieben-Tage-die-Woche-Einsatz, den sie zum Errichten der neuen Häuser leisteten. Teamarbeit. Brüder und Schwestern. Jeder zog am selben Strang, einer für alle und alle für einen.
    Marco hatte ihr erzählt, daß so mancher Alteingesessene in Alaska schon in einem normalen Zelt überwintert hatte, mit nicht viel mehr als einem Blechofen und ein paar plattgedrückten Pappkartons, um den Wind abzuhalten, aber sie konnte sich das nicht mal ansatzweise vorstellen. Im Zelt? Im Schnee? Bei minus fünfundvierzig, fünfzig Grad? Das überschritt wohl eindeutig die Grenze zwischen Autarkie und Askese – oder auch die zum Märtyrertum –, und sie hegte keinerlei Absichten, zu leiden um des Leidens willen. Es gab nichts Schlimmes an Bequemlichkeit, an dreißig Zentimeter starken Mauern, einem extravaganten Kaminfeuer und einem Stapel von Schlafsäcken, in denen man sich einmummeln und stundenlang träumen konnte, während draußen der Schnee stob und der Wind in den Bäumen heulte. Und wieso nicht dieses Bild mit einer Tasse heißem Kakao vervollständigen – und einem guten Buch dazu?
    Sie hatten die Grundrisse der Blockhäuser bereits vermessen und auf der Erde abgeschritten, hatten sich hingesetzt und die Aussicht auf den Fluß bewundert, die man von jedem einzelnen genießen würde, ein kleiner Halbkreis von schicken viereckigen Häusern aus entrindeten Stämmen, wie aus dem Bilderbuch, und sobald das Versammlungsgebäude fertig war, würden sie mit ihnen anfangen. Die große Frage war: Wie sollte der Platz aufgeteilt werden? Wer würde mit wem zusammen wohnen, und würde man mitten im Winter wechseln können, falls irgendwer total ausflippte? Sie dachte sich, daß Marco und sie sich wohl mit Merry und Jiminy zusammentun würden, vielleicht noch mit Maya und einem der Typen – Freaks – ohne Frau, aber zu viert wäre es netter, zu zweit sogar noch netter.
    Sie streckte sich und achtete darauf, Marco nicht zu wecken. Er lag von ihr weggerollt, reglos wie eine Leiche in seinem zerschlissenen Schlafsack aus Armeebeständen, völlig geschafft von der pausenlosen Arbeit im Regen am Vortag. Er war am Abend so ausgepowert gewesen, daß er die Versammlung geschwänzt hatte, beim Essen danach hatte er kaum die Gabel zum Mund gebracht, und all die Witze und Sprüche und hanebüchenen Theorien, die das Abendessen immer so lebendig und unterhaltsam machten, gingen diesmal spurlos an ihm vorüber. Sie wollte nur kurz hinüber zum alten Blockhaus, um mal nachzusehen, was Dunphy und Erika zum Frühstück auftischten (heute waren die zwei dran, und sie konnte fast wetten, daß es Pfannkuchen werden würden, mit handgeschnittenen Speckscheiben für die Fleischfresser), und ihm einen Teller davon ins Zelt bringen, Frühstück im

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