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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hohes, klagendes Geheul ausstoßend – allerdings, auch Tiere können trauern, das glaubte Star in der Tiefe ihrer Seele –, ehe sich im Innern des Hauses Norms donnernde Stimme hören ließ: »Leute, ich will mit ’ner Cannabisstaude gepudert sei, wenn das nicht der verlorene Sohn ist, gerade rechtzeitig zum Frühstück!« Und dann trat Norm auf die Veranda hinaus, aus seinem offenen Overall quoll buschige Behaarung, dazu die fetten, runzligen Brustwarzen.
    Ronnie winkte ihm zu, und auch Joe Bosky hob eine Hand in die Höhe, worauf sie sich beide zum Flugzeug umwandten und begannen, das auszuladen, was Ronnie aus Boynton mitzubringen gedacht hatte. Als erstes kam sein Rucksack, verführerisch prall. Dann kamen Gewehre – die Gewehre, die Norm beziehungsweise Norms Onkel gehörten, und warum hatte er sie alle beide mitnehmen müssen, wo doch eine einzige Kugel schon genügt hätte für das Vieh, das die Ziegen gerissen hatte? – und eine folienbeschichtete weiße Schachtel mit zwei seitlichen Griffen, auf deren Seite U.S. Postal Service stand, also hatte er wenigstens die Post nicht vergessen, das mußte man ihm lassen. Die Leute scharten sich jetzt um sie, neugierige Blicke, jeder erwartete die Bestellungen, die er bei Pan aufgegeben hatte, die Zeitschriften und Süßigkeiten und Lidschatten und Kräuter-Honig-Shampoos und so weiter, aber Pan war schon fertig, er drehte sich mit leeren Händen zu ihnen um, tut mir leid, Leute, kommt morgen wieder, alles ausverkauft. Star beobachtete ihn, wie er am Rucksack nestelte, die Pistole an den einen Oberschenkel geschnallt, die Lederscheide mit dem riesigen Messer an den anderen, seine Ausgehstiefel aus echtem Kuhleder mit runder Spitze und extrahohen Absätzen dunkel vom Flußwasser, das Karohemd bis zum vierten Knopf offen, darunter seine drei Perlenketten, lose baumelnd – zwei davon hatte sie für ihn aufgefädelt während der langen Stunden im rollenden Käfig, als sie durch die tote Zone der Präriestaaten gegondelt waren –, und sie dachte: Es ist vorbei. Er ist kaputt.
    Doch er überraschte sie. Denn er griff nach seinem Rucksack, schlang sich über jede Schulter ein Gewehr, wandte sich an den nächststehenden seiner Brüder und Schwestern – es war Tom Krishna, Tom mit dem scheu gebeugten Kopf und dem selbstgebastelten Mandala aus Alufolie, das an seiner Kehle das Sonnenlicht reflektierte – und sagte zu ihm, so daß es alle hören konnten, das restliche Zeug sei im Boot, nur kein Streß, das Flugzeug habe schließlich kaum Laderaum, alles klar? »Aber die Post haben wir euch mitgebracht«, sagte er und verpaßte der Pappkiste einen Stoß mit der nassen Stiefelspitze.
    Der Morgen zog sich hin. Star brachte einen Teller und einen Becher mit Kaffee zum Zelt und sah Marco zu, wie er das Essen gierig verschlang, sah seinen hingestreckten nackten Torso in den Falten des Schlafsacks und wie er den Teller abräumte und sich dann eine Zigarette anzündete, ohne seine Lage zu verändern. »Ist das meins, was du da anhast?« wollte er wissen. Sie sagte: »Ja« und ging noch einmal hinüber, um ihm einen Nachschlag zu holen. Inzwischen waren alle wach, schoben die Pfannkuchen auf den Tellern hin und her, tankten Kaffee ohne Milch und sichteten die Kiste mit der Post, die Tom Krishna auf den Picknicktisch gestellt hatte. Für Star war nichts dabei und auch nicht für Marco, weil sie beide vom Antlitz der Erde verschwunden waren und niemand, schon gar nicht ihre Eltern, ihren Aufenthaltsort kannte. Sie lud den Teller voll, ersäufte die Pfannkuchen in Sirup und nahm sich vor, doch mal ein paar Leuten zu schreiben – ihrer Mutter, Sam, JoJo, Suzie –, denn es wäre nett, mal einen Brief zu bekommen, zu korrespondieren, sich zu bestätigen, daß es noch eine Welt jenseits des kühl dahinrauschenden Flusses gab. Als sie mit dem vollen Teller den Hügel hinaufging, traf sie die Polarsonne und zeichnete ihre Schatten auf den Boden.
    Gegen zehn waren es exakt dreißig Grad auf dem Kommunethermometer, das Norm vor der Blockhaustür angenagelt hatte, und die versammelte Sippe, sogar Jiminy mit dem Arm in der Schlinge, sogar Premstar, arbeitete draußen in der sengenden Sonne, voll konzentriert auf die wichtigste Aufgabe: das Versammlungsgebäude brauchte ein Dach, und die Ritzen zwischen den Stämmen mußten verstopft werden. »Auf zum letzten Schliff«, trällerte Norm und klatschte Schlammklumpen auf das Holz. »Das erste und wichtigste Gebäude von Drop City Nord erhebt

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