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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Eierholen oder beim Einkochen des dünnen, leicht süßlichen Safts der Ahornbäume, bis man einen Sirup hatte, der wie flüssiges Gold war, wie man ihn im Laden niemals kaufen könnte.
    Ronnie saß dann meistens drüben im großen Raum – er war damals auf Heroin –, wo er döste, sich kratzte oder mit Grabesstimme über Autos, Anlagen oder Bands redete, und JoJo hatte immer einen Topf mit irgendwas auf dem Ofen, nur für den Fall, daß jemand Hunger bekam, und natürlich passierte das praktisch jeden Abend. Es war keine Kommune – es war eigentlich nicht viel mehr als ein Haufen ausgeflippter junger Leute, die miteinander leben wollten –, aber für Star schien es einmalig. Man konnte jederzeit dort auftauchen, in jedem der Häuschen, und fand immer irgendwen, mit dem man reden oder eine neue Platte genießen konnte – oder ein Gedicht oder Drogen oder was zu essen. Star machte es sich gern auf dem alten Flokatiteppich am Kamin gemütlich, Schulter an Schulter mit Ronnie, und dann hörten sie bis in den Morgen hinein Musik, während eine Pfeife oder eine Tüte kreiste, und wenn sie lieber quatschen oder ein neues Paar Stiefel oder ein Schmuckstück vorzeigen wollte, hatte sie Suzie und JoJo und noch ein halbes Dutzend Frauen als Ansprechpartner, die wie Schwestern für sie waren, wie Zimmergenossinnen im Studentenheim, nur besser.
    Damals, das war ein Vorgeschmack, leider nur ein kurzer. Denn es dauerte nicht lange, da nahmen die Bullen die Siedlung aufs Korn und machten es echt nervig, auch nur die dunkle Waldstraße entlangzufahren, ständig rechts ran, raus aus dem Wagen, und wo wollen wir denn so spät noch hin, und kenn ich dich nicht von irgendwoher? Außerdem ging es viel zu sehr um Drogen, nach einer Weile waren alle total abgedreht, und es gab kein wirkliches Miteinander – die meisten hatten ja weiterhin ihre Jobs in der Plastikwelt. Suzie wurde mit Dope erwischt, dann Mike, ihr Freund, und bald löste sich die Sache sang- und klanglos auf. Jetzt aber war Star hier, in Kalifornien, den Sonnenschein auf den Schultern, mit Ziegen, die sie anmeckerten, und sie war zum erstenmal wirklich Teil von etwas, von etwas Bedeutsamem. Zum Beispiel das hier: bis vor zwei Wochen hatte sie noch keine einzige Ziege auch nur gesehen – oder wenn doch, dann in einem Streichelzoo oder auf einem Bauernhof, als sie zehn war und ihre Kiefer sich fest um die Zahnspange schlossen, weil sie nicht zu lächeln wagte mit dem vielen unschönen Metall, das in ihrem Mund aufblitzte –, und jetzt konnte sie diese hier sogar schon total routiniert melken, wie eine Magd in einem Roman von Thomas Hardy, Star von den D’Urbervilles, die Versorgerin der Kommune.
    Also los. Die gelbliche Milch spritzte in den Eimer. Aber dann wurde die zweite Ziege unruhig – entweder war es Amanda oder Dewlap, sie verwechselte die beiden immer noch, obwohl sie jetzt schon den wievielten Morgen hintereinander an ihren Zitzen zerrte und drückte? – und latschte mitten hinein, so daß die Milch, die für Joghurt bestimmt war, ganz zu schweigen von Cornflakes und Kaffee, in den Dreck sickerte.
    »Wow«, sagte eine Stimme hinter ihr, »ein Trankopfer für die Götter. Ich bin beeindruckt.«
    Sie kauerte im Schatten der Eiche, an die sie die Ziegen über Nacht anleinten, damit sie nicht auch noch das letzte knospende Grün dieser Welt abfraßen, und indem sie ein Lächeln aufsetzte, schwang sie den Kopf herum. Sie war glücklich – beschwingt und kurz davor, ihren Frohsinn herauszuschreien, ob die Milch nun verschüttet war oder nicht –, weil sie sich genau das immer gewünscht hatte: gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern von der Natur zu leben, und scheiß auf Ronnie, wirklich, scheiß auf ihn. Also schön. Prima. Aber sie lächelte ins Leere: es war niemand da.
    Stand es so schlimm um sie? Flashbacks waren eine Sache, aber akustische Hallus?
    »Hier oben«, rief die Stimme, also blickte sie hoch, an der breiten grauen Straße des Baumstamms entlang, und sah dort die Sohlen zweier schmutzstarrender Füße, Füße so schwarz wie das Innere eines Grabs, und den weißen Fleck der nackten Oberschenkel und Hüften eines Mannes, darüber seine ebenso unbekleidete Brust, sein Haar und sein Gesicht. Er grinste zu ihr hinunter, rittlings auf einem Ast sitzend, der so dick war wie die Wasserrohre in der Stadtrandsiedlung, wo sie inmitten tuckernder Rasenmäher und qualmender Holzkohlegrills aufgewachsen war. Grillpartys. Fliederbüsche.

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