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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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um die triefnassen Strähnen aus dem Gesicht zu halten. Am Gürtel trug er ein Messer in einer fünfzehn Zentimeter langen Scheide, das aber nur für gewaltlosen Gebrauch gedacht war, etwa zum Abrinden von Manzanitazweigen oder zum Ausnehmen von Forellen, bevor er sie in Alufolie auf einem Bett aus glühenden Kohlen garte. In seiner ledernen Feldflasche war Wasser, kein Wein (diese Lektion hatte er auf die harte Tour gelernt, damals in der Sonora-Wüste), und der alte Armeerucksack enthielt einen Schlafsack, eine grobe Decke für den Boden, ein paar Gerätschaften und eine feuchte Taschenbuchausgabe von Steinbecks Von Mäusen und Menschen . Am Morgen hatte er die ersten Seiten mal wieder gelesen – wie George und Lennie vor einem Feuer aus Schwemmholz sitzen, in einer Welt, die alles verspricht und nichts hält –, während die Dämmerung grau durch die Bäume gesickert war und er sich Kaffee gekocht und eine Dose Eintopf über seinem eigenen Lagerfeuer gewärmt hatte. Marco dachte gerade darüber nach, wie Lennie immer wieder seinen Refrain »Und leben vom Fett der Erde!« durchhielt, trotz der tristen Beweise des Gegenteils, als das erste einer ganzen Prozession von Autos aus dem Nebel auftauchte und an ihm vorbeizischte, als würde er gar nicht existieren.
    Ihm war das egal. Er hatte keine Eile. Er ließ sich eher treiben, anonym wie der Morgen, und ja, er hatte einigen Ärger mit der Polizei wegen Drogenbesitzes gehabt, hatte mit dem College aufgehört, seinen Job gekündigt, dann den nächsten und den übernächsten, und ja, er hatte auch die harte, kalte Kartonpostkarte bekommen, mit dem unwiderlegbaren Einberufungsbescheid schwarz auf weiß in dem Briefkasten aus grausilbernem Blech vor dem Haus seiner Eltern in Connecticut, aber das war schon zwei Jahre her. In der Zwischenzeit – und hier dachte er an seinen Lieblingsroman von Steinbeck: Tortilla Flat – hatte er versucht, die Dinge anders anzugehen, alternativ zu leben, einfach dort abzuhängen, wo es lustig war. Alle redeten ja immer davon, zurück zur Natur zu kommen, als wäre das an sich schon ein Fortschritt. Er wußte inzwischen, was die Natur war – er hatte auf ihr gepennt, war in ihr gewandert, hatte ihre grellen alkalischen Ebenen durchquert und sie körperlich gespürt, wie eine gewaltige ein- und ausatmende Lunge, während er in der Stille des Morgens unter den Bäumen dahinschritt. Das war schon was ... und einstweilen das Beste, was er tun konnte. Was die Autos anging: auch am Abend davor hatte er keinen Lift bekommen, daraufhin hatte er diese Stelle gefunden – eine scharfe Biegung der Straße, gesäumt von Eukalyptusbäumen, die nach Tau und Menthol und allen Möglichkeiten des Lebens dufteten – und sich am Ufer eines Bachs schlafen gelegt, damit er beim Plätschern des Wassers und nicht bei Verkehrslärm aufwachen würde.
    Als die Wagenkolonne außer Sicht war, kehrte eine überirdische Stille ein, nur Vogelgezwitscher und das Rauschen der tropfnassen Bäume. Er wartete einen Moment, achtete auf Motorengeräusche, dann hängte er sich die Gitarre über die Schulter und marschierte die Straße hinauf in Richtung Olema und Point Reyes. Er versank im Rhythmus seiner Schritte, spürte ihn in den Unter- und Oberschenkeln wie eine Art Kraft, ein Mann, der am Straßenrand entlangging, und er hätte immer weiter so gehen können, quer über den Kontinent und wieder zurück, dabei würde seine Miene jedem vorbeifahrenden Auto sagen, daß er sich einen Scheiß drum kümmerte, ob sie nun anhielten oder nicht. Fünfundzwanzig oder dreißig Autos waren vorbeigefahren, und die Sonne hatte sich aus den Wiesen erhoben, um den Nebel wegzubrennen, als endlich ein VW -Bus für ihn bremste. Er war fast nagelneu, dieser Bus, oben weiß, unten ein dunkles Orange, doch als Marco ihn keuchend erreichte, sah er das Peace-Zeichen, ungelenk mit weißer Farbe auf die Seite gepinselt, und da wußte er, daß er angekommen war.
    Am Steuer saß ein älterer Typ – Mitte, vielleicht sogar Ende Dreißig – mit einem wilden Bart, der ihm über den Overall hing und in die Haare hinaufwucherte. Er trug eine Brille mit klobigem schwarzem Plastikgestell, und in seinem Grinsen blinkten mindestens zwei Goldzähne. »Spring rein, Alter«, sagte er. »Wo soll’s denn hingehn?«
    Das Zuknallen der Tür, ein Aufheulen des scheppernden Motors, Kamikaze-Insekten und Staub, Rucksack und Gitarre auf den Rücksitz gepfeffert wie Schmuggelgut, jeder Aufbruch ein Ritual, jedes

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