Drowning - Tödliches Element (German Edition)
stehen Laternen, aber sie werfen ihren Lichtschein nur wenige Meter in beide Richtungen der Straße. Ich verlasse das Tor und folge dem Zaun nach rechts.
Der Regen peitscht jetzt so richtig los, trommelt mir gegen die Seite. Der Wind faucht mir ins Gesicht – es ist schwierig voranzukommen. Plötzlich schlägt eine heftige Bö von der Seite zu und wirft mich gegen den Zaun. Die Bäume entlang der Straße links von mir schwanken. Dann ein Splittern und ein Ast stürzt ein paar Meter entfernt herab.
Ich lass das nicht zu. Ich werde dich umbringen.
Und ich habe das verrückte Gefühl, dass das Wetter auf seiner Seite ist. Dass er es vielleicht sogar kontrolliert. Wind und Regen versuchen mich aufzuhalten. Ich drücke mich vom Zaun ab, gehe an dem Ast vorbei und renne dann weiter. Die Kälte hat mich jetzt voll erwischt. Ich habe keine Kraft mehr in den Beinen und spüre meine Finger nicht mehr.
Ich schaffe es trotzdem bis zu den Fabrikgebäuden. Mir bleibt keine Zeit, nach Überwachungskameras zu suchen, ich habe nur noch einen Gedanken im Kopf: einen Lastwagen finden und dann nichts wie raus hier. Ich kürze den Weg ab und laufe zwischen zwei Gebäuden auf den Hof dahinter. Drei Lastwagen stehen dort, ansonsten ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Ich hetze zu den Hecks und suche nach einer Möglichkeit hineinzukommen. Einer der Lastwagen ist ein Pritschenfahrzeug mit Planen an den Seiten. Die Plane wellt sich im Wind, bläht sich und knallt zurück. Sie peitscht und knarrt unter der Spannung. Sie ist mit Schnüren und Schnallen an der Pritsche befestigt, aber an einer Stelle hat sie sich etwas gelöst und flappt unten am Rand hin und her. Ich fasse hinauf und versuche die Schnur zu lösen, um das Loch größer zu machen, aber meine Finger funktionieren nicht mehr richtig. Ich hauche sie an und versuche es wieder. Einer der Knoten gibt etwas nach – ich schramme mir an Finger und Daumen die Haut auf, doch am Ende schaffe ich es den Knoten zu lösen.
Ich reiße an der Plane und stemme mich hoch auf die Pritsche des Lasters. Der größte Teil der Fläche ist trocken, aber genau da, wo ich eingestiegen bin, hat auch der Regen einen Weg gefunden. Ich knalle mich mit dem Rücken in die Pfütze – um nass zu bleiben, Rob bei mir zu halten. Ich werfe einen Blick hinüber zu ihm. Er sitzt zusammengekauert am Boden, presst seine Knie gegen den Körper. Hasserfüllt sieht er mich an. Und ein kalter Schmerz sticht mir in den Kopf. Er wird mich leiden lassen dafür, dass ich ihn wegbringe.
Es ist nicht vorbei.
Ich atme gegen den Schmerz an und horche, wie der Wind gegen die Plane schlägt. Er wird nicht gewinnen. Der Lastwagen schwankt, ächzt und knarrt wie ein Schiff auf See. Draußen tobt der Sturm. Es wird eine lange Nacht werden.
Mein Bruder ist bei mir, sticht mir mit Eis in den Kopf, an mich gefesselt durch diese Wasserlache in meinem Rücken. Da sonst niemand auf dem Hof ist, gehe ich davon aus, dass wir nicht vor morgen früh losfahren werden. Bleibt nur zu warten. Aber ich habe alles überlebt, was Rob mir bis jetzt in den Weg geworfen hat, und ich bin dabei von hier zu verschwinden. Alles läuft nach Plan.
Ich setze mich auf und ziehe mein Ersatz-T-Shirt an. Die Jeans ist nass und das T-Shirt wird von der Wasserlache auch nass genug werden, um Rob bei mir zu halten. Ich löse die Jacke von meiner Hüfte und rolle sie zu einem Kissen zusammen. Dann lege ich mich wieder hin, dreh mich auf die Seite, rolle mich zusammen und ziehe die Hände ans Gesicht, um sie mit meinem Atem zu wärmen.
Ich schaue noch einmal zu Rob. Er sitzt immer noch zusammengekauert da und schweigt. Zum ersten Mal seit Tagen fühle ich mich nicht mehr von ihm bedroht. Es ist wieder, wie es immer war, er und ich, nur dass die Plätze vertauscht sind.
Ich schließe die Augen und es dauert nicht lange, bis der Lärm des Windes und das schleichende Wohlbehagen meiner eigenen Körperwärme mich in den Schlaf lullen.
EINUNDZWANZIG
»Ich weiß nicht, wieso die von Schließung reden – wir haben doch mehr zu tun denn je«, sagt eine barsche Stimme.
Ich öffne die Augen und versuche mich zu orientieren. Ein Schatten, der aussieht wie Rob, starrt mich an und einen Moment lang glaube ich, ich bin zu Hause, wir liegen uns auf den Matratzen gegenüber und ein ganz normaler neuer Tag bricht an.
Dann weiß ich wieder, dass er tot ist.
»Das ist doch verrückt, wir machen ein Scheißvermögen für die und denen reicht’s immer noch
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