Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Regen läuft schon in die Lücke zwischen den beiden Kapuzen und dringt durch die Nähte meiner Jacke. Meine Schuhe sind durchgeweicht, genauso wie die von Mum und Debbie. Das Wasser auf der Straße scheint jede Minute zu steigen. Ich schaue mich immer wieder um, erwarte, dass ich ihn sehe, ihn höre. Er muss gleich erscheinen, es ist nur die Frage, wann und wo.
Wir gehen den Durchgang entlang zum Park. Der Weg ist zu eng, um nebeneinander zu gehen, deshalb laufen wir hintereinander, ich am Schluss. Vielleicht wird es hier passieren – an dieser beengten, düsteren Stelle. Er wird auf dem Weg stehen und ich werde nicht wissen, ob ich anhalten oder versuchen soll, an ihm vorbeizukommen, durch ihn hindurch.
Ich habe es kaum gedacht, da sind wir schon aus dem Durchgang wieder draußen und er ist nicht erschienen. Der Wind peitscht die verkrüppelten Bäume am Wegrand. Mum und Debbie gehen jetzt wieder dicht aneinander gedrängt, ich aber nicht. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Der Regen schüttet herab. Ich ziehe die rechte Hand aus der Tasche und strecke sie aus, mit der Handfläche nach oben. In Sekundenschnelle ist sie nass. Wasser sammelt sich in der Mitte, tropft von den Fingern und platscht aus dem Himmel hinein.
Die einzigen Geräusche sind der Sturm, die klatschenden Schritte und der Wind in den Bäumen. Aber nirgendwo seine Stimme.
Ich öffne die Augen. Mum und Debbie sind zwanzig Meter vor mir, immer noch dicht zusammengedrängt. Sonst ist niemand im Park. Drüben bei den Geschäften läuft jemand aus dem Eingang von Ashrafs Laden zu seinem Auto und hält sich eine Einkaufstüte über den Kopf.
Ich suche die Ränder der Wiese und die Tore nach einer bleichen Gestalt ab. Aber ich sehe Rob nirgends. Ich reiße mir beide Kapuzen herunter und ziehe den Kopf nach hinten, strecke mein Gesicht dem Himmel entgegen, versuche die Augen offen zu halten, was nicht gelingt, als die Tropfen auf sie zurasen. Ich blinzle das Wasser heraus und sehe mich wieder um.
Er ist nicht hier.
Tagelang war ich in Panik, fürchtete das Tropfen jedes Wasserhahns, jeden Hinweis von Feuchtigkeit in der Luft. Und jetzt das! Wasser tropft mir aus den Haaren und rinnt in den Nacken.
Kein Rob.
Ich öffne den Reißverschluss der Jacke und ziehe sie aus, ziehe mir auch das Sweatshirt und das T-Shirt über den Kopf. Der Regen ist erschreckend kalt, aber das ist mir egal. Er sticht, als er die Haut berührt. Ich werfe meine Sachen zu Boden und breite die Arme aus, mit den Handflächen nach oben, das Gesicht zum Himmel gereckt, mit offenem Mund.
Eine Bö schleudert mich fast vom Weg und ich ertappe mich dabei, wie ich lache.
Er ist weg. Er ist wirklich weg.
Ich brauche keine Angst mehr zu haben.
Ich werde nicht verrückt.
Und dann begreife ich plötzlich. Er ist weg. Er ist wirklich weg. Mein Bruder ist tot. Ich habe ihn umgebracht.
Meine Arme fallen herab. Der Regen hämmert weiter nieder und das ist jetzt nicht mehr beglückend. Mir ist kalt. Ich bin ausgekühlt, von Kopf bis Fuß nass und dumm und allein.
Das Einzige, was von meinem Bruder übrig ist, ist der Leichnam, den wir gerade gesehen haben. Der Rest ist fort und auch der Leichnam wird morgen fort sein.
Rob ist fort. Ich habe ihn umgebracht.
Wasser tropft mir von der Nasenspitze, vom Kinn. Ich stehe da wie eine Statue und lasse es tropfen.
»Carl? Carl, was machst du?« Mum und Debbie kommen auf mich zugerannt. »Carl, was ist passiert?«
Mum bleibt stehen und beugt sich hinab, um die Sachen aufzuheben, die ich habe fallen lassen.
»Carl! Carl! Du bist ja klatschnass. Jetzt steh hier nicht rum. Komm schon, lass uns nach Hause gehen. Jetzt komm!«
Sie trippeln um mich herum wie zwei Krähen, die sich pickend über ein totes Tier auf der Straße hermachen. Und genauso fühle ich mich. Tot und leer. Unnütz, verrottend. Wie etwas, das von einem vorbeifahrenden Lastwagen plattgemacht wurde.
Sie zerren und schieben mich jetzt und ich lasse mich durch den Park ziehen, an der Ladenzeile vorbei und dahinter die Treppe hinauf. Mir ist sehr, sehr kalt und ich bin sehr, sehr müde.
»Ich lass dir ein Bad einlaufen. Keine Widerrede. Ein schönes heißes Bad wird dir guttun«, sagt Debbie und poltert die Treppe hinauf.
Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer. Der schwarze Fleck reicht jetzt auf der einen Seite des Zimmers von der Decke bis zum Boden. Ein breiter, dunkler Streifen. Das vertraute Gefühl von Verfall ist da, aber nicht Rob.
»Geh rauf und leg dich in die
Weitere Kostenlose Bücher