Drowning - Tödliches Element (German Edition)
gut. Wo bist du jetzt?«
»Ich bin unten, im Flur.«
»Geh nach oben. Schaffst du das? Geh einfach nach oben. Halt dich vom Wasser fern. Sieh zu, dass du trocken bleibst. Ich bin in fünf Minuten bei dir.«
Sie schreit. Ich verstehe kein Wort, höre nur den rauen, gleichbleibend schrillen Ton der Angst. Ich brülle jetzt, versuche sie dazu zu bringen, dass sie mir sagt, was passiert ist.
»Neisha! Neisha!«
»O mein Gott. Es steigt aus der Kloschüssel. Da ist … Da kommt Abwasser hoch! O Gott! O Gott!«
»Neisha, geh nach oben! Jetzt geh schon! Bitte. Ich bin gleich da. Geh einfach nach oben. Ich bleib am Handy. Sag mir, wenn du oben bist.«
Ich klemme mir das Handy ans Ohr und ackere die Straße entlang. Irgendwo heulen Sirenen durch die Stadt. Ich bin jetzt fast an der Brücke. Die Bögen sind nicht mehr zu sehen – der Fluss ist bis auf die Höhe der Straße angestiegen. Autos stehen auf beiden Seiten, ein Polizeiwagen mit Blaulicht blockiert die Auffahrt. Ein Bulle mit leuchtender Warnjacke stellt gelbe Absperrkegel auf.
Eine Traube von Schaulustigen steht am Wasser – es hat das Ufer auf beiden Seiten weit überspült.
»Die Brücke ist gesperrt, Junge«, sagt einer zu mir. »Im Asphalt haben sich Risse gebildet. Sie wird einstürzen.« Er hält die Kamera bereit. Ein Foto fürs Album.
Ich renne weiter und versuche mich an dem Bullen vorbeizuschlängeln. »Hey! Warte. Du kannst da nicht rüber«, ruft er, stürzt in meine Richtung und erwischt meinen Arm.
Ich ringe mich los und verliere das Handy. Es gleitet mir aus den Fingern und platscht in das knöcheltiefe Wasser.
Ich lasse den Bullen hinter mir und laufe auf die Brücke. Die Fahrspur erhebt sich aus dem Fluss. Ich erreiche den gewölbten Sattel. Und jetzt sehe ich, dass alles stimmt. Die Straßendecke unter meinen Füßen reißt auseinander. Ein Spalt verläuft quer durch die Mitte. Ich spüre, wie sich die Brücke bewegt, und renne schneller, so dass die Füße kaum noch den Boden berühren. Ich laufe die andere Seite hinunter, zurück ins flutende Wasser. Hinter mir höre ich ein leises Geräusch, einen schmatzenden, klatschenden Laut, fast wie ein Stöhnen. Ein Aufschrei bricht los. Jetzt bin ich am anderen Ufer und schaue zurück.
Eine Seite der Brücke ist weg, eingestürzt in das wirbelnde Wasser, eine Lücke, wo sonst die Straße war. Eine Sekunde später und ich wäre mitgestürzt.
Ich bin jetzt nicht mehr weit von Neishas Haus entfernt. Das Stadtbild hat sich stark verändert. Die Hälfte der vertrauten Orientierungspunkte ist verschwunden. Kingsleigh besteht nur noch aus einer Reihe von Inseln, auf denen sich Häuser und Bäume drängen.
Ich wate durch knietiefes Wasser. Es ist kalt, dickflüssig und braun. Ich kann nicht sehen, was unter der Oberfläche ist. Jeder Schritt vorwärts ist ein Schritt ins Ungewisse. Ich versuche, der Richtung der Straße zu folgen, vertraue meinem Instinkt. Der Boden sinkt ab und das Wasser steigt weiter die Beine hoch. Das Wasser steht nicht, es fließt und die Strömung ist überraschend stark. Das Wasser drückt gegen mich an und auf einmal bin ich froh, dass ich keine lange Hose trage – es gibt nichts, worin sich das Wasser zusätzlich fangen kann. Ich folge der Strömung, was doch einfach sein müsste. Aber als ich den Fuß hebe, versucht sie, ihn nach vorn zu drücken, von mir wegzureißen. Es ist, als ob jemand im Wasser wäre, der an mir zerrt, mich hineinziehen will. Ich schaue auf das Wasser um mich herum. Es ist so schlammig, dass ich nichts sehe. Ist Rob da unten?
Mein Fuß tastet nach festem Grund, die Zehen umkrallen unsichtbare Kanten und Rundungen. Ich verliere die Nerven – ich muss die Füße fest aufsetzen, daran glauben, dass es festen Grund gibt, wo ich sie aufsetzen kann.
Auch andere Menschen waten durchs Wasser, fliehen aus ihren Häusern, auf der Suche nach höher gelegenen Orten. Ein Mann trägt ein kleines Mädchen auf seinen Schultern. Das Mädchen lacht und tätschelt ihm den Kopf, als ob das Ganze ein Spiel wäre. Er schaut grimmig, hält sie an den Beinen fest. Schreit sie an, dass sie still sitzen soll. Ihr Gesicht verändert sich, als er fester zupackt, und sie fängt an zu weinen.
Der Mann schreit zu mir rüber.
»Es steigt zu schnell. Geh zurück, Junge.«
Ich schaue an ihm vorbei zu der Häuserreihe dahinter. Das Wasser steht bis zu den unteren Fenstern. Hat es Neisha nach oben geschafft?
»Ich muss da rein«, rufe ich zurück. »Meine Freundin ist
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