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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Josefine beab-
    sichtige, wenn man ihr nicht nachgebe, die Koloraturen
    zu kürzen. Ich weiß nichts von Koloraturen, habe in 
    ihrem Gesänge niemals etwas von Koloraturen bemerkt.
    Josefine aber will die Koloraturen kürzen, vorläufig
    nicht beseitigen, sondern nur kürzen. Sie hat angeblich
    ihre Drohung wahr gemacht, mir allerdings ist kein Un-
    terschied gegenüber ihren früheren Vorführungen aufge- 
    fallen. Das Volk als Ganzes hat zugehört wie immer,
    ohne sich über die Koloraturen zu äußern, und auch die
    Behandlung von Josefinens Forderung hat sich nicht ge-
    ändert. Übrigens hat Josefine, wie in ihrer Gestalt, un-
    leugbar auch in ihrem Denken manchmal etwas recht 
    Graziöses. So hat sie z. B. nach jener Vorführung, so als
    sei ihr Entschluß hinsichtlich der Koloraturen gegenüber
    [  ]
    dem Volk zu hart oder zu plötzlich gewesen, erklärt,
    nächstens werde sie die Koloraturen doch wieder voll-
    ständig singen. Aber nach dem nächsten Konzert besann
    sie sich wieder anders, nun sei es endgültig zu Ende mit
     den großen Koloraturen, und vor einer für Josefine gün-
    stigen Entscheidung kämen sie nicht wieder. Nun, das
    Volk hört über alle diese Erklärungen, Entschlüsse und
    Entschlußänderungen hinweg, wie ein Erwachsener in
    Gedanken über das Plaudern eines Kindes hinweghört,
     grundsätzlich wohlwollend, aber unerreichbar.
    Josefine aber gibt nicht nach. So behauptete sie z. B.
    neulich, sie habe sich bei der Arbeit eine Fußverletzung
    zugezogen, die ihr das Stehen während des Gesanges
    beschwerlich mache; da sie aber nur stehend singen kön-
     ne, müsse sie jetzt sogar die Gesänge kürzen. Trotzdem
    sie hinkt und sich von ihrem Anhang stützen läßt, glaubt
    niemand an eine wirkliche Verletzung. Selbst die beson-
    dere Empfindlichkeit ihres Körperchens zugegeben,
    sind wir doch ein Arbeitsvolk und auch Josefine gehört
     zu ihm; wenn wir aber wegen jeder Hautabschürfung
    hinken wollten, düre das ganze Volk mit Hinken gar
    nicht auören. Aber mag sie sich wie eine Lahme führen
    lassen, mag sie sich in diesem bedauernswerten Zustand
    öers zeigen als sonst, das Volk hört ihren Gesang dank-
     bar und entzückt wie früher, aber wegen der Kürzung
    macht es nicht viel Auebens.
    Da sie nicht immerfort hinken kann, erfindet sie etwas
    [  ]
    anderes, sie schützt Müdigkeit vor, Mißstimmung,
    Schwäche. Wir haben nun außer dem Konzert auch ein
    Schauspiel. Wir sehen hinter Josefine ihren Anhang, wie
    er sie bittet und beschwört zu singen. Sie wollte gern,
    aber sie kann nicht. Man tröstet sie, umschmeichelt sie, 
    trägt sie fast auf den schon vorher ausgesuchten Platz,
    wo sie singen soll. Endlich gibt sie mit undeutbaren Trä-
    nen nach, aber wie sie mit offenbar letztem Willen zu
    singen anfangen will, matt, die Arme nicht wie sonst
    ausgebreitet, sondern am Körper leblos herunterhän- 
    gend, wobei man den Eindruck erhält, daß sie vielleicht
    ein wenig zu kurz sind – wie sie so anstimmen will, nun,
    da geht es doch wieder nicht, ein unwilliger Ruck des
    Kopfes zeigt es an und sie sinkt vor unseren Augen zu-
    sammen. Dann allerdings ra sie sich doch wieder auf 
    und singt, ich glaube, nicht viel anders als sonst, viel-
    leicht wenn man für feinste Nuancen das Ohr hat, hört
    man ein wenig außergewöhnliche Erregung heraus, die
    der Sache aber nur zugute kommt. Und am Ende ist sie
    sogar weniger müde als vorher, mit festem Gang, soweit 
    man ihr huschendes Trippeln so nennen kann, entfernt
    sie sich, jede Hilfe des Anhangs ablehnend und mit kal-
    ten Blicken die ihr ehrfurchtsvoll ausweichende Menge
    prüfend.
    So war es letzthin, das Neueste aber ist, daß sie zu 
    einer Zeit, wo ihr Gesang erwartet wurde, verschwun-
    den war. Nicht nur der Anhang sucht sie, viele stellen
    [  ]
    sich in den Dienst des Suchens, es ist vergeblich; Josefi-
    ne ist verschwunden, sie will nicht singen, sie will nicht
    einmal darum gebeten werden, sie hat uns diesmal völlig
    verlassen.
     Sonderbar, wie falsch sie rechnet, die Kluge, so falsch,
    daß man glauben sollte, sie rechne gar nicht, sondern
    werde nur weiter getrieben von ihrem Schicksal, das in
    unserer Welt nur ein sehr trauriges werden kann. Selbst
    entzieht sie sich dem Gesang, selbst zerstört sie die
     Macht, die sie über die Gemüter erworben hat. Wie
    konnte sie nur diese Macht erwerben, da sie

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