Drucke zu Lebzeiten
oder fallen.
Hätte sie wirklich Feinde, wie sie sagt, sie könnten
diesem Kampfe, ohne selbst den Finger rühren zu müs-
sen, belustigt zusehen. Aber sie hat keine Feinde, und
selbst wenn mancher hie und da Einwände gegen sie hat,
dieser Kampf belustigt niemanden. Schon deshalb nicht,
weil sich hier das Volk in seiner kalten richterlichen Hal-
tung zeigt, wie man es sonst bei uns nur sehr selten sieht.
Und wenn einer auch diese Haltung in diesem Falle billi-
gen mag, so schließt doch die bloße Vorstellung, daß sich
einmal das Volk ähnlich gegen ihn selbst verhalten könn-
te, jede Freude aus. Es handelt sich eben auch bei der
Abweisung, ähnlich wie bei der Forderung, nicht um die
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Sache selbst, sondern darum, daß sich das Volk gegen
einen Volksgenossen derart undurchdringlich abschlie-
ßen kann und um so undurchdringlicher, als es sonst für
eben diesen Genossen väterlich und mehr als väterlich,
demütig sorgt.
Stünde hier an Stelle des Volkes ein Einzelner: man
könnte glauben, dieser Mann habe die ganze Zeit über
Josefine nachgegeben unter dem fortwährenden bren-
nenden Verlangen endlich der Nachgiebigkeit ein Ende
zu machen; er habe übermenschlich viel nachgegeben im
festen Glauben, daß das Nachgeben trotzdem seine rich-
tige Grenze finden werde; ja, er habe mehr nachgegeben
als nötig war, nur um die Sache zu beschleunigen, nur,
um Josefine zu verwöhnen und zu immer neuen Wün-
schen zu treiben, bis sie dann wirklich diese letzte
Forderung erhob; da habe er nun freilich, kurz, weil
längst vorbereitet, die endgültige Abweisung vorgenom-
men. Nun, so verhält es sich ganz gewiß nicht, das Volk
braucht solche Listen nicht, außerdem ist seine Vereh-
rung für Josefine aufrichtig und erprobt und Josefinens
Forderung ist allerdings so stark, daß jedes unbefangene
Kind ihr den Ausgang hätte voraussagen können; trotz-
dem mag es sein, daß in der Auffassung, die Josefine von
der Sache hat, auch solche Vermutungen mitspielen und
dem Schmerz der Abgewiesenen eine Bitternis hinzu-
fügen.
Aber mag sie auch solche Vermutungen haben, vom
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Kampf abschrecken läßt sie sich dadurch nicht. In letzter
Zeit verschär sich sogar der Kampf; hat sie ihn bisher
nur durch Worte geführt, fängt sie jetzt an, andere Mittel
anzuwenden, die ihrer Meinung nach wirksamer, unse-
rer Meinung nach für sie selbst gefährlicher sind.
Manche glauben, Josefine werde deshalb so dringlich,
weil sie sich alt werden fühle, die Stimme Schwächen
zeige, und es ihr daher höchste Zeit zu sein scheine, den
letzten Kampf um ihre Anerkennung zu führen. Ich
glaube daran nicht. Josefine wäre nicht Josefine, wenn
dies wahr wäre. Für sie gibt es kein Altern und keine
Schwächen ihrer Stimme. Wenn sie etwas fordert, so
wird sie nicht durch äußere Dinge, sondern durch inne-
re Folgerichtigkeit dazu gebracht. Sie grei nach dem
höchsten Kranz, nicht, weil er im Augenblick gerade ein
wenig tiefer hängt, sondern weil es der höchste ist; wäre
es in ihrer Macht, sie würde ihn noch höher hängen.
Diese Mißachtung äußerer Schwierigkeiten hindert sie
allerdings nicht, die unwürdigsten Mittel anzuwenden.
Ihr Recht steht ihr außer Zweifel; was liegt also daran,
wie sie es erreicht; besonders da doch in dieser Welt, so
wie sie sich ihr darstellt, gerade die würdigen Mittel ver-
sagen müssen. Vielleicht hat sie sogar deshalb den
Kampf um ihr Recht aus dem Gebiet des Gesanges auf
ein anderes ihr wenig teures verlegt. Ihr Anhang hat
Aussprüche von ihr in Umlauf gebracht, nach denen sie
sich durchaus fähig fühlt, so zu singen, daß es dem Volk
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in allen seinen Schichten bis in die versteckteste Opposi-
tion hinein eine wirkliche Lust wäre, wirkliche Lust
nicht im Sinne des Volkes, welches ja behauptet, diese
Lust seit jeher bei Josefinens Gesang zu fühlen, sondern
Lust im Sinne von Josefinens Verlangen. Aber, fügt sie
hinzu, da sie das Hohe nicht fälschen und dem Gemei-
nen nicht schmeicheln könne, müsse es eben bleiben,
wie es sei. Anders aber ist es bei ihrem Kampf um die
Arbeitsbefreiung, zwar ist es auch ein Kampf um ihren
Gesang, aber hier kämp sie nicht unmittelbar mit der
kostbaren Waffe des Gesanges, jedes Mittel, das sie an-
wendet, ist daher gut genug.
So wurde z. B. das Gerücht verbreitet,
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