Drucke zu Lebzeiten
be-
glückwünsche mich.“
Da sagte er: „Ach Gott, Sie haben ein lebhaes Herz
und einen Kopf aus einem Block. Sie nennen mich einen
Glücksfang, wie glücklich müssen Sie sein! Denn mein
Unglück ist ein schwankendes Unglück, ein auf einer
dünnen Spitze schwankendes Unglück und berührt man
es, so fällt es auf den Frager. Gute Nacht, mein Herr.“
„Gut“, sagte ich und hielt seine rechte Hand fest,
„wenn Sie mir nicht antworten werden, werde ich hier
auf der Gasse zu rufen anfangen. Und alle Ladenmäd-
chen, die jetzt aus den Geschäen kommen und alle ihre
Liebhaber, die sich auf sie freuen, werden zusammenlau-
fen, denn sie werden glauben, ein Droschkenpferd sei
gestürzt oder etwas dergleichen sei geschehen. Dann
werde ich Sie den Leuten zeigen.“
Da küßte er weinend abwechselnd meine beiden Hän-
de. „Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen wollen, aber
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bitte, gehen wir lieber in die Seitengasse drüben.“ Ich
nickte und wir gingen hin.
Aber er begnügte sich nicht mit dem Dunkel der Gas-
se, in der nur weit voneinander gelbe Laternen waren,
sondern er führte mich in den niedrigen Flurgang eines
alten Hauses unter ein Lämpchen, das vor der Holztrep-
pe tropfend hing.
Dort nahm er wichtig sein Taschentuch und sagte, es
auf eine Stufe breitend: „Setzt Euch doch lieber Herr, da
könnt Ihr besser fragen, ich bleibe stehen, da kann ich
besser antworten. Quält mich aber nicht.“
Da setzte ich mich und sagte, indem ich mit schmalen
Augen zu ihm aulickte: „Ihr seid ein gelungener Toll-
häusler, das seid Ihr! Wie benehmt Ihr Euch doch in der
Kirche! Wie ärgerlich ist das und wie unangenehm den
Zuschauern! Wie kann man andächtig sein, wenn man
Euch anschauen muß.“
Er hatte seinen Körper an die Mauer gepreßt, nur den
Kopf bewegte er frei in der Lu. „Ärgert Euch nicht –
warum sollt Ihr Euch ärgern über Sachen, die Euch nicht
angehören. Ich ärgere mich, wenn ich mich ungeschickt
benehme; benimmt sich aber nur ein anderer schlecht,
dann freue ich mich. Also ärgert Euch nicht, wenn ich
sage, daß es der Zweck meines Lebens ist, von den Leu-
ten angeschaut zu werden.“
„Was sagt Ihr da“, rief ich viel zu laut für den niedri-
gen Gang, aber ich fürchtete mich dann, die Stimme zu
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schwächen, „wirklich was sagtet Ihr da. Ja ich ahne
schon, ja ich ahnte es schon, seit ich Euch zum erstenmal
sah, in welchem Zustande Ihr seid. Ich habe Erfahrung
und es ist nicht scherzend gemeint, wenn ich sage, daß es
eine Seekrankheit auf festem Lande ist. Deren Wesen ist
so, daß Ihr den wahrhaigen Namen der Dinge verges-
sen habt und über sie jetzt in einer Eile zufällige Namen
schüttet. Nur schnell, nur schnell! Aber kaum seid Ihr
von ihnen weggelaufen, habt Ihr wieder ihre Namen
vergessen. Die Pappel in den Feldern, die Ihr den ,Turm
von Babel‘ genannt habt, denn Ihr wußtet nicht oder
wolltet nicht wissen, daß es eine Pappel war, schaukelt
wieder namenlos und Ihr müßt sie nennen ,Noah, wie er
betrunken war‘.“
Ich war ein wenig bestürzt, als er sagte: „Ich bin froh,
daß ich das, was Ihr sagtet, nicht verstanden habe.“
Aufgeregt sagte ich rasch: „Dadurch, daß Ihr froh seid
darüber, zeigt Ihr, daß Ihr es verstanden habt.“
„Freilich habe ich es gezeigt, gnädiger Herr, aber auch
Ihr habt merkwürdig gesprochen.“
Ich legte meine Hände auf eine obere Stufe, lehnte
mich zurück und fragte in dieser fast unangreiaren
Haltung, welche die letzte Rettung der Ringkämpfer ist:
„Ihr habt eine lustige Art, Euch zu retten, indem Ihr
Eueren Zustand bei den anderen voraussetzt.“
Darauin wurde er mutig. Er legte die Hände inein-
ander, um seinem Körper eine Einheit zu geben, und
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sagte unter leichtem Widerstreben: „Nein, ich tue das
nicht gegen alle, zum Beispiel auch gegen Euch nicht,
weil ich es nicht kann. Aber ich wäre froh, wenn ich es
könnte, denn dann hätte ich die Aufmerksamkeit der
Leute in der Kirche nicht mehr nötig. Wisset Ihr, warum
ich sie nötig habe?“
Diese Frage machte mich unbeholfen. Sicherlich, ich
wußte es nicht und ich glaube, ich wollte es auch nicht
wissen. Ich hatte ja auch nicht hierher kommen wollen,
sagte ich mir damals, aber der Mensch hatte mich ge-
zwungen, ihm zuzuhören. So brauchte ich
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