Drucke zu Lebzeiten
diese Ge-
müter so wenig kennt. Sie versteckt sich und singt nicht,
aber das Volk, ruhig, ohne sichtbare Enttäuschung, her-
risch, eine in sich ruhende Masse, die förmlich, auch
wenn der Anschein dagegen spricht, Geschenke nur ge-
ben, niemals empfangen kann, auch von Josefine nicht,
dieses Volk zieht weiter seines Weges.
Mit Josefine aber muß es abwärts gehn. Bald wird die
Zeit kommen, wo ihr letzter Pfiff ertönt und verstummt.
Sie ist eine kleine Episode in der ewigen Geschichte un-
seres Volkes und das Volk wird den Verlust überwinden.
Leicht wird es uns ja nicht werden; wie werden die Ver-
sammlungen in völliger Stummheit möglich sein? Frei-
lich, waren sie nicht auch mit Josefine stumm? War ihr
wirkliches Pfeifen nennenswert lauter und lebendiger,
als die Erinnerung daran sein wird? War es denn noch
bei ihren Lebzeiten mehr als eine bloße Erinnerung? Hat
[ ]
nicht vielmehr das Volk in seiner Weisheit Josefinens
Gesang, eben deshalb, weil er in dieser Art unverlierbar
war, so hoch gestellt?
Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbeh-
ren, Josefine aber, erlöst von der irdischen Plage, die
aber ihrer Meinung nach Auserwählten bereitet ist, wird
fröhlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Hel-
den unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte
treiben, in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle
ihre Brüder.
[ ]
Nur in Zeitschrien oder Zeitungen
veröffentlichte Texte
Ein Damenbrevier
Wenn man sich in die Welt aufatmend entläßt, wie vom
hohen Gerüst der Schwimmer in den Fluß, gleich und
später manchmal von Gegenstößen wie ein liebes Kind
verwirrt, aber immer mit schönen Wellen zur Seite in die
Lu der Ferne treibt, dann mag man wie in diesem Buch
ziellos mit geheimem Ziel die Blicke über das Wasser
richten, das einen trägt und das man trinken kann und
das für den auf seiner Fläche ruhenden Kopf grenzenlos
geworden ist.
Verschließt man sich jedoch diesem ersten Eindruck,
dann erkennt man bis zur Überzeugung, daß der Verfas-
ser hier mit einer förmlich ungestillten Energie gearbei-
tet hat, die den Bewegungen seines unablässigen Geistes
– sie sind zu schnell, als daß sie Zusammenhang verrie-
ten – Kanten zum Erschrecken gibt.
Und dies vor einer Materie, die in der zuckenden Ent-
wicklung, welche sie erfährt, an die Versuchungen erin-
nert, die vom Schreien unsichtbarer Wüstentiere an-
getrieben, Einsiedler einst erfrischten. Doch schwebt
diese Versuchung nicht vor dem Verfasser als kleines
Balletkorps auf ferner Bühne, sondern sie ist ihm nah,
[ ]
sie umpreßt ihn stark, bis er sich in sie verschlingt und
ehe er es noch von der Dame erfuhr, schrieb er schon:
„Aber man muß lieben, um sich mit Grazie hingeben
zu können“, sagte Annie D. eine schöne blonde
Schwedin.
Was ist es nun für ein Anblick, wenn der Verfasser in
diese Arbeit so verstrickt uns erscheint, getragen von
einer Natur, gleich jenen Wolken aus Stein, die einmal
im Barock die Gruppen im Sturmwind sich umarmender
Heiliger erhoben. Der Himmel, in den das Buch in der
Mitte und gegen Ende ausbrechen muß, um durch ihn
die frühere Gegend zu retten, ist fest und überdies
durchsichtig.
Natürlich besteht niemand darauf, daß die Damen, für
die der Verfasser geschrieben hat, dies wirklich sehn. Ist
es doch genügend und mehr als das, wenn sie, vom er-
sten Absatz schon gezwungen, wie es sein muß, fühlen
werden, daß sie in ihren Händen einen Beichtspiegel
halten und einen besonders treuen. Denn die Beichte,
die man so nennt, geschieht in einem ungewohnten Mö-
belstück, auf dem Boden eines ungewohnten Raumes im
halben Licht, das alles ringsherum und auf und ab mit
Zukun und Vergangenheit nur halb wahr macht, so daß
notwendig auch alle Ja und Nein, die gefragten und die
geantworteten halb falsch sein müssen, besonders wenn
sie ganz ehrlich sind. Wie könnte man aber hier an ein
wichtiges Detail vergessen in der gewohnten mitter-
[ ]
nächtlichen Beleuchtung während eines leisen Gesprä-
ches (leise, weil es heiß ist) nahe beim Bett!
Im Verlag Hans von Weber erschien „Die Puderquaste“ von Franz Blei
[ ]
Gespräch mit dem Beter
Es gab eine Zeit, in der ich Tag um Tag in eine Kirche
ging, denn ein Mädchen, in das ich mich verliebt hatte,
betete
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