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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Hand-
    tasche schließe und nach meinem Pelz winke, die Familie
    beisammensteht, der Vater schnuppernd über dem Rum-
    glas in seiner Hand, die Mutter, von mir wahrscheinlich 
    enttäuscht – ja, was erwartet denn das Volk? – tränenvoll
    in die Lippen beißend und die Schwester ein schwer
    [  ]
    blutiges Handtuch schwenkend, bin ich irgendwie be-
    reit, unter Umständen zuzugeben, daß der Junge doch
    vielleicht krank ist. Ich gehe zu ihm, er lächelt mir entge-
    gen, als brächte ich ihm etwa die allerstärkste Suppe –
     ach, jetzt wiehern beide Pferde; der Lärm soll wohl,
    höhern Orts angeordnet, die Untersuchung erleichtern –
    und nun finde ich: ja, der Junge ist krank. In seiner
    rechten Seite, in der Hüengegend hat sich eine handtel-
    lergroße Wunde aufgetan. Rosa, in vielen Schattierun-
     gen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern,
    zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelndem
    Blut, offen wie ein Bergwerk obertags. So aus der Ent-
    fernung. In der Nähe zeigt sich noch eine Erschwerung.
    Wer kann das ansehen ohne leise zu pfeifen? Würmer, an
     Stärke und Länge meinem kleinen Finger gleich, rosig
    aus eigenem und außerdem blutbespritzt, winden sich,
    im Innern der Wunde festgehalten, mit weißen Köpf-
    chen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist
    nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefun-
     den; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.
    Die Familie ist glücklich, sie sieht mich in Tätigkeit; die
    Schwester sagt’s der Mutter, die Mutter dem Vater, der
    Vater einigen Gästen, die auf den Fußspitzen, mit ausge-
    streckten Armen balancierend, durch den Mondschein
     der offenen Tür hereinkommen. „Wirst du mich ret-
    ten?“ flüstert schluchzend der Junge, ganz geblendet
    durch das Leben in seiner Wunde. So sind die Leute in
    [  ]
    meiner Gegend. Immer das Unmögliche vom Arzt ver-
    langen. Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfar-
    rer sitzt zu Hause und zerzup die Meßgewänder, eines
    nach dem andern; aber der Arzt soll alles leisten mit
    seiner zarten chirurgischen Hand. Nun, wie es beliebt: 
    ich habe mich nicht angeboten; verbraucht ihr mich zu
    heiligen Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen;
    was will ich Besseres, alter Landarzt, meines Dienstmäd-
    chens beraubt! Und sie kommen, die Familie und die
    Dorfältesten, und entkleiden mich; ein Schulchor mit 
    dem Lehrer an der Spitze steht vor dem Haus und singt
    eine äußerst einfache Melodie auf den Text:
    „Entkleidet ihn, dann wird er heilen,
    Und heilt er nicht, so tötet ihn!
    ’Sist nur ein Arzt, ’sist nur ein Arzt.“
    
    Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte,
    mit geneigtem Kopf die Leute ruhig an. Ich bin durchaus
    gefaßt und allen überlegen und bleibe es auch, trotzdem
    es mir nichts hil, denn jetzt nehmen sie mich beim
    Kopf und bei den Füßen und tragen mich ins Bett. Zur 
    Mauer, an die Seite der Wunde legen sie mich. Dann
    gehen alle aus der Stube; die Tür wird zugemacht; der
    Gesang verstummt; Wolken treten vor den Mond; warm
    liegt das Bettzeug um mich; schattenha schwanken die
    Pferdeköpfe in den Fensterlöchern. „Weißt du“, höre 
    ich, mir ins Ohr gesagt, „mein Vertrauen zu dir ist sehr
    gering. Du bist ja auch nur irgendwo abgeschüttelt,
    [  ]
    kommst nicht auf eigenen Füßen. Statt zu helfen, engst
    du mir mein Sterbebett ein. Am liebsten kratzte ich dir
    die Augen aus.“ „Richtig“, sage ich, „es ist eine
    Schmach. Nun bin ich aber Arzt. Was soll ich tun? Glau-
     be mir, es wird auch mir nicht leicht.“ „Mit dieser Ent-
    schuldigung soll ich mich begnügen? Ach, ich muß
    wohl. Immer muß ich mich begnügen. Mit einer schönen
    Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze Aus-
    stattung.“ „Junger Freund“, sage ich, „dein Fehler ist:
     du hast keinen Überblick. Ich, der ich schon in allen
    Krankenstuben, weit und breit, gewesen bin, sage dir:
    deine Wunde ist so übel nicht. Im spitzen Winkel mit
    zwei Hieben der Hacke geschaffen. Viele bieten ihre
    Seite an und hören kaum die Hacke im Forst, geschwei-
     ge denn, daß sie ihnen näher kommt.“ „Ist es wirklich so
    oder täuschest du mich im Fieber?“ „Es ist wirklich so,
    nimm das Ehrenwort eines Amtsarztes mit hinüber.“
    Und er nahm’s und wurde still. Aber jetzt war es Zeit,
    an meine Rettung zu denken. Noch standen treu

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