Drucke zu Lebzeiten
Fahrt das Mädchen
als Kaufpreis hinzugeben.“ „Munter!“ sagt er; klatscht
[ ]
in die Hände; der Wagen wird fortgerissen, wie Holz in
die Strömung; noch höre ich, wie die Tür meines Hauses
unter dem Ansturm des Knechtes birst und splittert,
dann sind mir Augen und Ohren von einem zu allen
Sinnen gleichmäßig dringenden Sausen erfüllt. Aber
auch das nur einen Augenblick, denn, als öffne sich un-
mittelbar vor meinem Hoor der Hof meines Kranken,
bin ich schon dort; ruhig stehen die Pferde; der Schnee-
fall hat aufgehört; Mondlicht ringsum; die Eltern des
Kranken eilen aus dem Haus; seine Schwester hinter
ihnen; man hebt mich fast aus dem Wagen; den verwirr-
ten Reden entnehme ich nichts; im Krankenzimmer ist
die Lu kaum atembar; der vernachlässigte Herdofen
raucht; ich werde das Fenster aufstoßen; zuerst aber will
ich den Kranken sehen. Mager, ohne Fieber, nicht kalt,
nicht warm, mit leeren Augen, ohne Hemd hebt sich der
Junge unter dem Federbett, hängt sich an meinen Hals,
flüstert mir ins Ohr: „Doktor, laß mich sterben.“ Ich
sehe mich um; niemand hat es gehört; die Eltern stehen
stumm vorgebeugt und erwarten mein Urteil; die
Schwester hat einen Stuhl für meine Handtasche ge-
bracht. Ich öffne die Tasche und suche unter meinen
Instrumenten; der Junge tastet immerfort aus dem Bett
nach mir hin, um mich an seine Bitte zu erinnern; ich
fasse eine Pinzette, prüfe sie im Kerzenlicht und lege sie
wieder hin. „Ja“, denke ich lästernd, „in solchen Fällen
helfen die Götter, schicken das fehlende Pferd, fügen der
[ ]
Eile wegen noch ein zweites hinzu, spenden zum Über-
maß noch den Pferdeknecht – “ Jetzt erst fällt mir wieder
Rosa ein; was tue ich, wie rette ich sie, wie ziehe ich sie
unter diesem Pferdeknecht hervor, zehn Meilen von ihr
entfernt, unbeherrschbare Pferde vor meinem Wagen?
Diese Pferde, die jetzt die Riemen irgendwie gelockert
haben; die Fenster, ich weiß nicht wie, von außen auf-
stoßen; jedes durch ein Fenster den Kopf stecken und,
unbeirrt durch den Aufschrei der Familie, den Kranken
betrachten. „Ich fahre gleich wieder zurück“, denke ich,
als forderten mich die Pferde zur Reise auf, aber ich
dulde es, daß die Schwester, die mich durch die Hitze
betäubt glaubt, den Pelz mir abnimmt. Ein Glas Rum
wird mir bereitgestellt, der Alte klop mir auf die Schul-
ter, die Hingabe seines Schatzes rechtfertigt diese Ver-
traulichkeit. Ich schüttle den Kopf; in dem engen Denk-
kreis des Alten würde mir übel; nur aus diesem Grunde
lehne ich es ab zu trinken. Die Mutter steht am Bett und
lockt mich hin; ich folge und lege, während ein Pferd
laut zur Zimmerdecke wiehert, den Kopf an die Brust
des Jungen, der unter meinem nassen Bart erschauert. Es
bestätigt sich, was ich weiß: der Junge ist gesund, ein
wenig schlecht durchblutet, von der sorgenden Mutter
mit Kaffee durchtränkt, aber gesund und am besten mit
einem Stoß aus dem Bett zu treiben. Ich bin kein Welt-
verbesserer und lasse ihn liegen. Ich bin vom Bezirk
angestellt und tue meine Pflicht bis zum Rand, bis dort-
[ ]
hin, wo es fast zu viel wird. Schlecht bezahlt, bin ich
doch freigebig und hilfsbereit gegenüber den Armen.
Noch für Rosa muß ich sorgen, dann mag der Junge
recht haben und auch ich will sterben. Was tue ich hier in
diesem endlosen Winter! Mein Pferd ist verendet, und
da ist niemand im Dorf, der mir seines leiht. Aus dem
Schweinestall muß ich mein Gespann ziehen; wären es
nicht zufällig Pferde, müßte ich mit Säuen fahren. So ist
es. Und ich nicke der Familie zu. Sie wissen nichts da-
von, und wenn sie es wüßten, würden sie es nicht glau-
ben. Rezepte schreiben ist leicht, aber im übrigen sich
mit den Leuten verständigen, ist schwer. Nun, hier wäre
also mein Besuch zu Ende, man hat mich wieder einmal
unnötig bemüht, daran bin ich gewöhnt, mit Hilfe mei-
ner Nachtglocke martert mich der ganze Bezirk, aber
daß ich diesmal auch noch Rosa hingeben mußte, dieses
schöne Mädchen, das jahrelang, von mir kaum beachtet,
in meinem Hause lebte – dieses Opfer ist zu groß, und
ich muß es mir mit Spitzfindigkeiten aushilfsweise in
meinem Kopf irgendwie zurechtlegen, um nicht auf die-
se Familie loszufahren, die mir ja beim besten Willen
Rosa nicht zurückgeben kann. Als ich aber meine
Weitere Kostenlose Bücher