Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
sehr weit von der Grenze entfernt ist.
    Jedenfalls sind sie also da; es scheint, daß jeden Morgen
     mehr werden.
    Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem
    Himmel, denn Wohnhäuser verabscheuen sie. Sie be-
    schäigen sich mit dem Schärfen der Schwerter, dem
    Zuspitzen der Pfeile, mit Übungen zu Pferde. Aus die-
     sem stillen, immer ängstlich rein gehaltenen Platz haben
    sie einen wahren Stall gemacht. Wir versuchen zwar
    manchmal aus unseren Geschäen hervorzulaufen und
    wenigstens den ärgsten Unrat wegzuschaffen, aber es
    geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist
     nutzlos und bringt uns überdies in die Gefahr, unter die
    wilden Pferde zu kommen oder von den Peitschen ver-
    letzt zu werden.
    Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere
    Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene.
     Unter einander verständigen sie sich ähnlich wie Doh-
    len. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen.
    Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen
    [  ]
    ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Infolgedessen zei-
    gen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend.
    Du magst dir die Kiefer verrenken und die Hände aus
    den Gelenken winden, sie haben dich doch nicht ver-
    standen und werden dich nie verstehen. O machen sie 
    Grimassen; dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und
    Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie
    damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie
    tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, neh-
    men sie. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwen- 
    den. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und überläßt
    ihnen alles.
    Auch von meinen Vorräten haben sie manches gute
    Stück genommen. Ich kann aber darüber nicht klagen,
    wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer 
    gegenüber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm
    schon alles entrissen und wird von den Nomaden ver-
    schlungen. Auch ihre Pferde fressen Fleisch; o liegt ein
    Reiter neben seinem Pferd und beide nähren sich vom
    gleichen Fleischstück, jeder an einem Ende. Der Fleisch- 
    hauer ist ängstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlie-
    ferungen aufzuhören. Wir verstehen das aber, schießen
    Geld zusammen und unterstützen ihn. Bekämen die
    Nomaden kein Fleisch, wer weiß, was ihnen zu tun ein-
    fiele; wer weiß allerdings, was ihnen einfallen wird, 
    selbst wenn sie täglich Fleisch bekommen.
    Letzthin dachte der Fleischer, er könne sich wenig-
    [  ]
    stens die Mühe des Schlachtens sparen, und brachte am
    Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht
    mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz hinten
    in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine
     Kleider, Decken und Polster hatte ich über mir aufge-
    häu, nur um das Gebrüll des Ochsen nicht zu hören,
    den von allen Seiten die Nomaden ansprangen, um mit
    den Zähnen Stücke aus seinem warmen Fleisch zu rei-
    ßen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen
     getraute; wie Trinker um ein Weinfaß lagen sie müde um
    die Reste des Ochsen.
    Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem
    Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst
    kommt er in diese äußeren Gemächer, immer nur lebt er
     in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so
    schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und
    blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem
    Schloß.
    „Wie wird es werden?“ fragen wir uns alle. „Wie lan-
     ge werden wir diese Last und Qual ertragen? Der kaiser-
    liche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber
    nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlos-
    sen; die Wache, früher immer festlich ein- und ausmar-
    schierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern. Uns
     Handwerkern und Geschäsleuten ist die Rettung des
    Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Auf-
    gabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie ge-
    [  ]
    rühmt, dessen fähig zu sein. Ein Mißverständnis ist es,
    und wir gehen daran zugrunde.“
    Vor dem Gesetz
    Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter
    kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in 
    das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den
    Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und
    fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es
    ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“ Da
    das Tor zum Gesetz

Weitere Kostenlose Bücher