Drucke zu Lebzeiten
trat näher heran,
ging, gefolgt von seinen Begleitern, zwischen den unbe-
setzten Tischen hindurch, die vor dem Teehaus auf der
Straße standen, und atmete die kühle, dumpfige Lu ein,
die aus dem Innern kam. „Der Alte ist hier begraben“,
sagte der Soldat, „ein Platz auf dem Friedhof ist ihm
vom Geistlichen verweigert worden. Man war eine Zeit-
lang unentschlossen, wo man ihn begraben sollte,
schließlich hat man ihn hier begraben. Davon hat Ihnen
der Offizier gewiß nichts erzählt, denn dessen hat er sich
natürlich am meisten geschämt. Er hat sogar einigemal in
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der Nacht versucht, den Alten auszugraben, er ist aber
immer verjagt worden.“ „Wo ist das Grab?“ fragte der
Reisende, der dem Soldaten nicht glauben konnte.
Gleich liefen beide, der Soldat wie der Verurteilte, vor
ihm her und zeigten mit ausgestreckten Händen dorthin,
wo sich das Grab befinden sollte. Sie führten den Rei-
senden bis zur Rückwand, wo an einigen Tischen Gäste
saßen. Es waren wahrscheinlich Hafenarbeiter, starke
Männer mit kurzen, glänzend schwarzen Vollbärten. Al-
le waren ohne Rock, ihre Hemden waren zerrissen, es
war armes, gedemütigtes Volk. Als sich der Reisende
näherte, erhoben sich einige, drückten sich an die Wand
und sahen ihm entgegen. „Es ist ein Fremder“, flüsterte
es um den Reisenden herum, „er will das Grab anse-
hen.“ Sie schoben einen der Tische beiseite, unter dem
sich wirklich ein Grabstein befand. Es war ein einfacher
Stein, niedrig genug, um unter einem Tisch verborgen
werden zu können. Er trug eine Aufschri mit sehr klei-
nen Buchstaben, der Reisende mußte, um sie zu lesen,
niederknien. Sie lautete: „Hier ruht der alte Komman-
dant. Seine Anhänger, die jetzt keinen Namen tragen
dürfen, haben ihm das Grab gegraben und den Stein
gesetzt. Es besteht eine Prophezeiung, daß der Kom-
mandant nach einer bestimmten Anzahl von Jahren auf-
erstehen und aus diesem Hause seine Anhänger zur Wie-
dereroberung der Kolonie führen wird. Glaubet und
wartet!“ Als der Reisende das gelesen hatte und sich
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erhob, sah er rings um sich die Männer stehen und lä-
cheln, als hätten sie mit ihm die Aufschri gelesen, sie
lächerlich gefunden und forderten ihn auf, sich ihrer
Meinung anzuschließen. Der Reisende tat, als merke er
das nicht, verteilte einige Münzen unter sie, wartete
noch, bis der Tisch über das Grab geschoben war, ver-
ließ das Teehaus und ging zum Hafen.
Der Soldat und der Verurteilte hatten im Teehaus Be-
kannte gefunden, die sie zurückhielten. Sie mußten sich
aber bald von ihnen losgerissen haben, denn der Reisen-
de befand sich erst in der Mitte der langen Treppe, die zu
den Booten führte, als sie ihm schon nachliefen. Sie
wollten wahrscheinlich den Reisenden im letzten Au-
genblick zwingen, sie mitzunehmen. Während der Rei-
sende unten mit einem Schiffer wegen der Überfahrt
zum Dampfer unterhandelte, rasten die zwei die Treppe
hinab, schweigend, denn zu schreien wagten sie nicht.
Aber als sie unten ankamen, war der Reisende schon im
Boot, und der Schiffer löste es gerade vom Ufer. Sie
hätten noch ins Boot springen können, aber der Reisen-
de hob ein schweres geknotetes Tau vom Boden, drohte
ihnen damit und hielt sie dadurch von dem Sprunge ab.
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Ein Landarzt
Kleine Erzählungen
Meinem Vater
Der neue Advokat
Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus.
In seinem Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch
Streitroß Alexanders von Macedonien war. Wer aller-
dings mit den Umständen vertraut ist, bemerkt einiges.
Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen
ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des
kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten be-
staunen, als dieser, hoch die Schenkel hebend, mit auf
dem Marmor aulingendem Schritt von Stufe zu Stufe
stieg.
Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des
Bucephalus. Mit erstaunlicher Einsicht sagt man sich,
daß Bucephalus bei der heutigen Gesellschasordnung
in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb, sowie
auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, je-
denfalls Entgegenkommen verdient. Heute – das kann
niemand leugnen – gibt es keinen großen Alexander. Zu
morden verstehen zwar manche; auch an der Geschick-
lichkeit, mit der Lanze über den
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