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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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worden. Hat dieser Robert etwas damit zu tun. Was stand in den Büchern. Wer trägt die Verantwortung. Wer hat den Abschiedsbrief. Warum gab es keinen. Warum sollte es keinen gegeben haben. Wer trägt die Schuld. Wer trägt die Schuld daran, Ida?!
    Ich, habe ich gedacht und immer nur mit den Schultern gezuckt. Ich und ich und ich allein.
    » Das wirft auf vieles ein gänzlich anderes Licht«, sagt die Therapeutin und schaut sehr nachdenklich.
    » Ich bin schuld, Frau Wängler. Wir haben so oft darüber gesprochen. Über das Sterben und wie sinnlos alles ist. Wir haben am Ende fast nur noch darüber gesprochen. Aber ich habe nicht erwartet, dass… Ich habe nicht gedacht, dass sie es ernst meinen könnte. Ich dachte, wir meinen es nicht ernst. Ich dachte, wir seien so etwas wie Schwestern, die dieselben Abgründe in sich tragen, und sie hatte die Taschenlampe für meinen Schlund und ich die für ihren. Und dann stand ich in dieser Wohnung und musste ihren Eltern irgendwie erklären, dass ich keine Ahnung davon gehabt habe. Dass sie nie irgendwelche Andeutungen gemacht hat. Und ich musste ihrem versoffenen, ekelhaften Vater sagen, dass er bestimmt keine Schuld hat. Und ihrer verrückten Mutter erklären, dass ich auch nicht wisse, warum sie es getan hat. Und die ganze Zeit standen wir in ihrem abgedunkelten Wohnzimmer mit den hässlichen Sofas und dem ganzen Kitsch in den Glasvitrinen, und ich habe gespürt, wie Julias Körper über mir liegt, wie er ein Stockwerk höher dort liegt und nach mir ruft.«
    Ich würge und kann mich nicht mehr zusammenreißen, halte die Hand vor den Mund und breche in ein Schluchzen aus, das sich mit dem Würgen zu einem Laut vermischt, vor dem ich mich selbst verstecken will. Die Ekelhaftigkeit der Bilder dieser Tage durchströmt meinen Kopf mit einer Heftigkeit, die in mir den Wunsch hervorruft, ihn gegen die Wand zu schlagen, ihn so lange gegen etwas zu schlagen, das härter ist als diese Wahrheit.
    » Ich verstehe.«
    » Was verstehen Sie denn daran? Sie verstehen doch gar nichts! Können Sie verstehen, wie es ist, wenn Sie jemanden in den Selbstmord getrieben haben? Wenn Sie schon als Jugendliche so ekelhaft waren, dass Ihre ausgesprochenen Gedanken dazu ausgereicht haben, dass sich Ihre Freundin erschießt? Das kann doch kein Mensch verstehen. So etwas passiert doch einfach nicht. So etwas passiert doch keinem!«
    » Ihnen ist es passiert«, merkt sie an und atmet tief ein.

Vierundzwanzig
    J eder durfte vorlesen. Jeder, der wollte. Und es wollten alle. Jeder hatte seine Liste vorgetragen in den letzten Wochen, wenn Weimers gefragt hatte, wer der Nächste sei. Jeder hatte sich ein wenig gerade gemacht auf seinem Stuhl, hatte geknicktes, manchmal eingerissenes Papier auseinandergefaltet und vorgelesen, was ihm oder ihr wichtig war im Leben, was dazu beitrug, beim nächsten Mal gegenzusteuern, wenn das Ruder auf die Felsen zuhielt, an denen der Kopf zersprang.
    Im Anschluss hatten wir darüber gesprochen, was der oder die Vortragende erlebt, gesehen, getan hatte. Was sie auf das offene Meer getrieben hatte, wo Wahn und Seemonster ihn oder sie durchgeschüttelt hatten, bis nichts mehr übrig blieb, als im eigenen Geheule zu ersaufen. Wir hatten darüber gesprochen, welche Strategien funktionieren konnten und welche als letzte Konsequenz nur die Klippen ein bisschen bunter malten, an denen wir dann doch wieder zerspringen würden.
    Heute bin ich an der Reihe.
    Wir sitzen in dem Stuhlkreis, in dem ich so oft in den letzten Wochen gesessen habe, in der gleichen Reihenfolge, mit den gleichen Gesichtern wie immer. Die Heizungen sind voll aufgedreht, ich schwitze und zittere und warte, bis Weimers die Tür schließt, um die Gruppensitzung zu eröffnen.
    » Herrschaften, ich begrüße Sie. Wir machen genau da weiter, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben, was heißt, dass wir heute mit Frau Schaumann weitermachen, die an der Reihe ist, uns ihre Liste vorzutragen, bitte schön Ida.«
    Weimers hatte sich in den letzten Wochen verändert. Nachdem er bemerkt hatte, dass seine lapidare, holprige Art auf immer mehr Missmut und Gegenwehr gestoßen war, die besonders aus den Mündern von Walter und Simon auf ihn prasselten, hatte er offensichtlich entschieden, sich zurückzunehmen und die Sache etwas ernster anzugehen. Wir hatten uns gefragt, was diesen Mann zu einem Menschen gemacht hatte, der sich hinter übertriebener Gestik und einem Habitus aus flachen Witzen zu verstecken suchte, einer Art des

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